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Ödön von Horváth (c) Monacensia - Stadtbibliothek und Literaturarchiv

Murnau, Bahnhofstraße 17: Jugend ohne Gott

Der Architekt und Marktbaumeister Josef Riedl errichtet 1925 Zaun an Zaun zur Familie Horváth ein Landhaus. Die beiden Familien leben in guter Nachbarschaft miteinander. Besonders gut versteht sich Ödön von Horváth mit der musisch begabten Antonie Riedl, der Ehefrau von Josef Riedl. Die guten nachbarschaftlichen Beziehungen erleben eine harte Bewährungsprobe, als Ödön von Horváth  im Februar 1933 umgehend Murnau verlassen muss. Zurück in die elterliche Villa kann er nicht mehr. Das wäre zu gefährlich und würde die Murnauer SA zu sehr provozieren. Deshalb hält er sich bis Sommer 1934 während seiner Aufenthalte in Murnau im Dachgeschoss des Nachbarhauses auf. Er sammelt Materialien für einen Roman, der 1937 unter dem Titel Jugend ohne Gott im Exil-Verlag Allert de Lange in Amsterdam erscheint und binnen eines Jahres in acht Sprachen übersetzt wird.

Jugend ohne Gott begründet den internationalen Erfolg Horváths und gehört immer noch – gut 70 Jahre später – in den deutschsprachigen Ländern zur Schulpflichtlektüre. Der Roman weist in vielen Details Parallelen zu Murnauer Gegebenheiten, Örtlichkeiten und Personen auf. Vergleicht man etwa das Schicksal des Lehrers und Gemeinderates Dr. Leopold Huber mit dem des Ich-Erzählers in Jugend ohne Gott, sind die Ähnlichkeiten nicht zu übersehen. Die Vorarbeiten – erzählerische Skizzen und das Fragment Der Lenz ist da! – lassen sich bis ins Jahr 1933/1934 zurückverfolgen, als in Murnau die Vorbereitungen zum ersten „Hochlandlager“ der Hitlerjugend voll im Gange sind. Weitere Entwürfe entstehen Ende 1935, sie heißen Ein Lehrer in heutiger Zeit und Ein unbekannter Dichter. Dazu ein paar Notizen und der Entwurf zu einem Vorwort:

Ich überreiche dies Buch der Öffentlichkeit unserer Zeit. Ich weiss, es wird viel verboten werden, denn es (…) handelt von den Idealen der Menschheit. Ein Lehrer, der Lesen und Schreiben lehrt, (...) von dem handelt es. Es ist ein Buch gegen die (geistigen) Analphabeten, gegen die, die wohl lesen und schreiben können, aber nicht wissen, was sie schreiben und nicht verstehen, was sie lesen. Und ich hab ein Buch für die Jugend geschrieben, die heute bereits wieder ganz anders aussieht, als die fetten Philister, die sich Jugend dünken. Aus den Schlacken und Dreck verkommener Generationen steigt eine neue Jugend empor. Der sei mein Buch geweiht! Sie möge lernen aus unseren Fehlern und Zweifeln! Und wenn nur einer dies Buch liebt, bin ich glücklich! (Ödön von Horváth: Auf der Suche nach den Idealen der Menschheit. Romanentwurf. Zit. n. Ödön von Horváth: Jugend ohne Gott. GW 13, 153f.)

 


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Verfasst von: Dr. Elisabeth Tworek