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München, Neuturmstraße 1: Münchner Schauspielhaus

Das Kosttor kurz vor seinem Abriss 1872, links der Neuturm. Außenansicht Neuturmstraße 1 (c) Literaturportal Bayern.

Nachdem Wedekind von Januar bis April 1898 als Sekretär, Schauspieler und Regisseur für Carl Heines neugegründetes Ibsen-Theater auf Tournee gegangen ist, hält er sich erneut in München auf. Sofort findet er eine Arbeit beim Verleger Albert Langen: Wedekind soll das Verbot des Simplicissimus an preußischen Bahnhöfen mit einem satirischen Gedicht kommentieren. Seine „Hauptbeschäftigung“ besteht jetzt im Satireblatt, für das „ich täglich arbeite in Witzen, Gedichten und anderem Mist“ (Gesammelte Briefe. Bd. 1, S. 307). Doch das Glück ist ihm noch ferner hold. Im Juli 1898 berichtet Wedekind, er habe mit dem Oberregisseur des neuen Münchner Schauspielhauses, Georg Stollberg, abgesprochen, als Darsteller aufzutreten. Als Stollberg zum Direktor avanciert, wird er zudem zum Dramaturgen des Schauspielhauses ernannt.

Das Münchner Schauspielhaus wird 1897 in den Zentralsälen der Neuturmstraße 1 eröffnet und zieht 1901 als „Neues Münchner Schauspielhaus“ in das von Richard Riemerschmid erbaute Jugendstilgebäude an der Maximilianstraße 34. Stollberg weiß, wie er den ursprünglich maroden Betrieb wieder auf die Beine bringen kann: Er gewinnt den Münchner Großkaufmann Schmederer als Finanzier und legt mit Wedekind einen attraktiven Spielplan fest.

Für den 29. Oktober 1898 ist die Münchner Premiere von Wedekinds Erdgeist mit ihm als Dr. Schön angesetzt. Die Aufführung steht nicht gerade unter guten Vorzeichen: die Darstellerin der Lulu hat einen Sprachfehler, die Schauspieler sind mit ihren Rollen überfordert, weil der Text zu schwer ist. Der Maler Lovis Corinth erinnert sich:

Es wurde während des Spiels wie rasend gezischt und gelacht. Wedekind ließ sich aber nicht aus seiner Ruhe bringen. Mit der gleichen Ruhe sprach er die Paradoxe aus, welchen ein ungewollter Heiterkeitserfolg auf offener Bühne folgte, wie seinerzeit die Vorlesung in unserem Café Minerva. Wenn man aber nun noch wußte, daß hinter den Kulissen ein Detektiv lauerte, um Wedekind zu verhaften, weil er des Majestätsverbrechens angeklagt war, so blieb die diabolische Dämonie rätselhaft, daß er nach Schluß des Stückes noch Zeit gewinnen konnte, im nächsten Zuge nach der Schweiz zu entwischen. (Lovis Corinth: Meine frühen Jahre, Kap. III)

Wedekind steht im Verdacht, als Autor hinter den Gedichten „Meerfahrt“ und „Im Heiligen Land“ zu stehen, beides Satiren auf Kaiser Wilhelms II. Palästinareise. Die Nummer des Simplicissimus, in der sie unter Pseudonym erscheinen, wird konfisziert und Strafverfolgung wegen „Majestätsbeleidigung“ eingeleitet. Wedekind ist davon ausgegangen, dass seine Handschrift wie vereinbart vernichtet werden würde; doch die Gedichte finden sich in Langens Büro, weshalb neben dem Verleger und dem Zeichner (Thomas Theodor Heine) auch der Dichter angeklagt werden kann. Während Langen sich einer Verurteilung durch Flucht in die Schweiz und nach Frankreich entzieht und Heine sich aufgrund einer vertraglichen Absicherung den Behörden stellt, setzt sich Wedekind ähnlich wie Langen über Zürich nach Paris ab. Dort hofft er, sich als Dramatiker endlich durchsetzen zu können – ohne Erfolg. 1899 kehrt er nach Deutschland zurück, um seine siebenmonatige Haftstrafe auf der Festung Königstein bei Dresden abzusitzen.

Am 29. März 1904 kommt Wedekinds Die Büchse der Pandora, nach Der Erdgeist der zweite Teil seiner „Lulu“-Tragödie, am Münchner Schauspielhaus geschlossen zur Aufführung. Die Staatsanwaltschaft konfisziert die Buchausgabe und klagt Autor und Verleger wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften an. Am 18. Februar 1905 wird sein Stück Hidalla oder Sein und Haben mit Wedekind in der Rolle des Zwergriesen Karl Hetmann am Schauspielhaus uraufgeführt. Die Rolle des fanatisch-wütenden, zerrissen-traurigen Menschheitskämpfers und Weltverbesserers ist Wedekind derart auf den Leib geschrieben, dass sein Werk trotz herber Kritik zum Erfolg führt.

 


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Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

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