Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (42). Und entdeckt allerhand Falter und verbeugt sich vor einem Admiral

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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42

Wahrscheinlich habe ich mir nicht den perfekten Tag ausgesucht für mein Unterfangen. Ich sitze im Garten unter der Erle, auf dem Tisch die Schatten ihrer runden Blätter, der Samen, der kleinen Zweige, alles immer in Bewegung. Ich sitze hier, weil ich Schmetterlinge beobachten will, es gibt hier nämlich richtig viele für gewöhnlich. Wenn kein Wind ist. Es gibt heute aber Wind.

Ich habe die Schmetterlinge, die es hier auf der Wiese, am Wald oder an den Stauden gibt, sogar schon gelistet. Manche konnte ich nicht listen, weil ich noch immer nicht weiß, wie sie heißen.

Es ist mit den Schmetterlingen nicht so einfach wie mit den Vögeln. Für die Vögel habe ich die App vom Bund für Naturschutz, die kostet im Jahr neun Euro neunundneunzig und wenn es mir gelingt, das Mikrophon des iPhones gut in Richtung zu halten, wo es piepst und tschilpt, dann finde ich mit der App ziemlich zuverlässig heraus, wer da spricht.

Weil Schmetterlinge aber keine Geräusche machen und es auch gar nicht so einfach ist, Schmetterlinge zu fotografieren, dauert es länger, bis ich weiß, wer da so herumschwebt im Garten. Tagpfauenauge, Zitronenfalter und Admiral sind ja einfach, oder jedenfalls kenne ich die schon lange, aber neu waren für mich kleiner Kohlweißling und Grünaderweißling, Aurorafalter, großer und kleiner Fuchs, Feuerfalter, Schachbrettfalter, Bläuling und kleiner Eisvogel.

Heute jedoch habe ich das Gefühl, vor allem die Weißlinge trauen sich in den Wind, lassen sich einfach ganz lässig tragen und so klein und zart sie sind, spielen sie zu zweit darin, schaffen es manchmal sich zu berühren, werden dann aber wieder auseinander getrieben. Irgendwie tun sie aber so, als wären die kleinen Windböen nichts. Ab und zu kommt ein Zitronenfalter vorbei, die häufigsten Falter hier, auch sind sie die ersten, die sich im Frühling am Wald zeigen. Und immer wieder einer von diesen orangebraun gemusterten Kaisermänteln, die hier auch zahlreich sind. Auf einem der Schmetterlingsbäume habe ich Falter entdeckt, die ich noch nicht kenne, sie sitzen da still, bewegungslos, auch nach einer Stunde noch.

Weil ich weiß, dass die Schmetterlinge es bunt mögen, habe ich mich jetzt eine Weile an die bunteste Stelle des Gartens gesetzt, zu den Zinnien, aber auch da ist nicht viel los. Kein Schmetterlingswetter. Schreib doch was anderes, sagt mein Mann. Aber das geht jetzt nicht mehr, weil ich völlig drauf fixiert bin, das Schmetterlingsding zu machen. Wahrscheinlich hätte ich es auch gemacht, wenn gar keine da gewesen wären. Weil wenn man sich sehnt, spürt man ja auch was einem fehlt. Und also sitze ich herum, warte, ob noch einer kommt, den ich nicht kenne, und denke plötzlich, vielleicht hat auch die Trockenheit damit zu tun, dass ich viele Schmetterlingsarten gerade nicht sehe. Und dann google ich Schmetterlinge.

Tatsächlich finde ich auf den Seiten des BUND den Hinweis, dass 80 % der 190 einheimischen Schmetterlingsarten bedroht sind. Aus Umwelt-, aber auch Klimagründen, und weil ihnen die richtigen Pflanzen fehlen. In unserm Garten nicht. Unser Garten ist eine Mischung aus Wildnis und an die Wildnis angeschmiegte ordentliche Unordnung. Deshalb wachsen bei uns Brennnesseln am zur Zeit leider fast trockenen Bächlein, das durchs Gelände führt, und Disteln in der Wiese und Ampfer und Fetthenne und Ginster und Minzen, ausblühender Fenchel und jede Menge anderer ausblühender Kräuter, also kein Mangel an Nektar und Duft. Außerdem genug Farben, Zinnien und Schmetterlingsbäume und was die noch so mögen. Es gibt also genügend Leuchtsignale und Nektar für die Falter. Ganz am späten Nachmittag taucht am Waldrand noch ein Admiral auf, vor dem ich mich dann auch verbeuge. Danke Schönheit!

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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