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Meet your neighbours: Zena Awad im Museum Fünf Kontinente

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Im Gespräch: Raaed Alkour, Zena Awad und Moderatorin Silke Kleemann © Nanni Schiffl-Deiler

Auf Betreiben einer Reihe von Münchner Kulturschaffenden (u.a. Lena Gorelik, Marion Hertle, Björn Bicker, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Kathrin Reikowski, Nora Zapf, Denijen PauljevićAndreas Unger und Silke Kleemann) wird seit April 2016 einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung oder Institution zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Beteiligten stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe Meet your neighbours ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert.

Diesmal stellte Silke Kleemann im Münchner Museum Fünf Kontinente die syrische Archäologin Zena Award vor. Katja Huber berichtet.

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Es ist Tag fünf nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff auf die syrische Stadt Duma. Es ist der Vorabend der Luftangriffe von den USA, Frankreich und Großbritannien auf Ziele in Syrien. Es ist zwei Jahre, nachdem die Staatsanwaltschaft Genf im Zollfreilager zufällig auf syrisches Raubgut stieß: Die Terrororganisation IS hatte aus Grabungsstätten in Palmyra wertvolle Reliefs und Tonbüsten aus dem 2. Jh. n. Chr. geplündert und wollte diese von Genf aus illegal auf dem europäischen Antikmarkt verkaufen. Es ist das Jahr sieben seit Beginn dessen, was Zena Awad an diesem Abend, er findet in englischer Sprache statt, meist mit the crisis benennt.

Als die syrischen Archäologin Zena Awad, ihr Freund und Kollege Raaed Alkour und die Moderatorin Silke Kleemann am 12. April 2018 im Münchner Museum Fünf Kontinente zusammen kommen, um Zenas Arbeit und eines ihrer geplanten Projekte vorzustellen und vor allem über den Zustand historischer Bauwerke und archäologischer Stätten im heutigen Syrien zu sprechen, rücken sie dem Publikum vor allem eins ganz deutlich ins Bewusstsein: Die Bewohner Syriens haben seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 sehr viel, sehr unmittelbar verloren; Angehörige, Freunde, Wohnmöglichkeiten, Arbeit. Mit der Zerstörung der historischen Stätten verlieren sie auch einen Teil ihres kulturellen Erbes und damit auch ein Stück ihrer Identität. Ein kulturelles Erbe, das weit zurückreicht, wie Zena im Laufe des Abends noch anhand einiger Dokumente zeigen wird, zum Beispiel der Fotografie des weltweit ältesten Friedensvertrags, der im Jahr 1258 im syrischen Kadesch in Keilschrift verfasst und zwischen dem ägyptischen Pharao Ramses II. und dem Hethiterkönig Hattušili geschlossen wurde.

 

   

Letzte Vorbereitungen für die Präsentation: Silke Kleemann, Zena Awad und Katja Huber

 

Der Abend beginnt mit einer ebenso eindrucksvollen wie erschütternden Powerpointpräsentation. Die Methode der Vorher-Nachher-Fotografie ist vielen vor allem aus der Werbung, von Internet-Bannern oder Spam-Mails vertraut, die dokumentieren, wie hässliche Entchen in nur sieben Tagen/Wochen/Monaten zu stolzen Schwänen werden, von Misanthrop*innen mit Übergewicht zu strahlenden Menschenfreund*innen mit idealem Body-Mass-Index. Abgesehen davon, dass diese Bilder oft einen Wandel dokumentieren, dessen Ideale höchst fragwürdig sind, kann man in vielen Fällen davon ausgehen, dass sie bearbeitet, manipuliert, gefakt sind.

Die Bilder, die Zena im Museum Fünf Kontinente zeigt, sind echt. Sie stammen von syrischen Ausgrabungsteams, von Zenas Archäologen-Freunden oder aus Privatsammlungen. Diese Fotos dokumentieren einen umgekehrten und noch viel radikaleren Wandel: Vom Intakten, vom über Jahrhunderte Gewachsenen, Geprägten und Entwickelten, vom über Jahrtausende Erhaltenen zum über Nacht Zerstörten.

Jahrhunderte lang bereisten Wissenschaftler und Touristen Syrien, um historische Stätten zu besuchen, die das Wirken verschiedener Epochen, Kulturen und Religionen dokumentieren.

Die fast 2.000 Jahre alte syrisch orthodoxe Umm az-Zinnār-Kirche in Homs (Sankt-Marien-Kirche des Heiligen Gürtels) enthält eine Reliquie, die als Marias Gürtel angesehen wird. Dieser Gürtel ist das Äquivalent der syrischen Kirche zum katholischen Gürtel des Thomas in der Prato-Kathedrale in Italien. Die Reliquien beziehen sich auf die gleiche Legende über die Jungfrau Maria, die dem Apostel Thomas ihren Gürtel als Beweis für ihre Aufnahme in den Himmel übergeben haben soll. Im Jahr 2012, im zweiten Jahr des Bürgerkriegs, wurde die Kirche von den bewaffneten Oppositionsgruppen gegen die Baath-Regierung Baschar al-Assads als Schild zweckentfremdet und im Kampf mit den Streitkräften stark beschädigt. Spätere Zusammenstöße führten zu weiteren Zerstörungen. Die Fotos, die Zena an diesem Abend präsentiert, zeigen schwerste Schäden im Dachgebälk und an der Fassade und einen zerstörten Kirchturm.

Die Umayyaden-Moschee von Aleppo, im Jahr 715 als zweite Moschee der Stadt errichtet, wurde im Jahr 2013, im dritten Jahr des Bürgerkriegs, so schwer beschädigt, dass das Minarett der Moschee einstürzte. Regierung und Rebellen bezichtigen sich gegenseitig der Verantwortung für die Zerstörung. Die von Römern, Griechen und Persern geprägte antike Oasenstadt Palmyra in der syrischen Wüste galt als einzigartige Kulturstätte. Dann zerstörte der sogenannte Islamische Staat Ende August 2015, im fünften Jahr des Bürgerkriegs, den Baal-Tempel. Das römische Theater aus dem 2. Jahrhundert nach Christus wurde im Januar 2017 schwer beschädigt.

Zu den jüngsten Bildern der Zerstörung, die Zena an diesem Abend präsentiert, gehört der Tempel von Ain Dara, der im siebten Jahr nach Beginn des Bürgerkriegs, im Januar 2018 von der türkischen Luftwaffe zu 60 Prozent zerstört wurde. „Dreitausend Jahre Geschichte pulverisiert“ lautete eine Schlagzeile Anfang Februar. Bei Zenas zügig und im wissenschaftlich-sachlichen Ton gehaltenen Vortrag beschleicht einen die Frage, um wieviele Beispiele ihre Präsentation wohl noch erweitert werden wird, wie viel Geschichte und Erbe wohl noch pulverisiert werden wird, in den kommenden Wochen, Monaten, Jahren.

 

   

Zu Beginn ihres Vortrags zeigt Zena Awad, wie weit Syrien von Deutschland entfernt ist, nicht nur auf der Landkarte. Im Vortrag präsentiert sie zahlreiche 'Erbstücke' vorderasiatischer Kultur, hier eine Tafel mit dem ugaritischen Alphabet in Keilschrift

 

Doch dann beendet Zena ihre Präsentation und stellt das Projekt vor, für das sie und ihr Partner, der syrische Archäologe Raaed Alkour noch Unterstützung suchen. Ein Projekt, mit dem die beiden auf all die Zerstörungen reagieren wollen. Schon bei dieser Vorstellung und im anschließenden Gespräch mit Silke Kleemann weicht der sachliche Ton einem leidenschaftlichen und allen vorangegangenen Schilderungen zum Trotz strahlt Zena während des restlichen Abends einen ungebrochenen Optimismus aus.

Das Projekt ist eine Ausstellung mit einer großen Anzahl von Vorher-Nachher-Fotos, erweitert durch Vorlesungen und Präsentationen, Dokumentarfilme sowie einige 3D-Modellrekonstruktionen zerstörter Stätten. Dieses Projekt, das fasst Zena zusammen und Raaed wiederholt es noch einmal, soll die Bedeutung des syrischen Erbes herausstellen. Es soll den Zustand der beschädigten Stätten dokumentieren und besonders auch auf den Schmuggel von und den illegalen Handel mit syrischen antiken Gegenständen hinweisen, der, wie auch all die Zerstörung, zu einem Verlust des syrischen Erbes führen wird. Es soll Deutschen, die keine Gelegenheit hatten, Syrien vor dem Bürgerkrieg kennen zu lernen, die Geschichte von Syrien näherbringen und Syrer, besonders diejenigen, die während des Bürgerkriegs geboren und aufgewachsen sind, an die Bedeutung ihrer Zivilisation erinnern.

Als Silke Kleemann anlässlich der gezeigten Bilder, aber wohl auch anlässlich der Größe des Vorhabens, vielleicht auch anlässlich der Tatsache, dass Zena gerade dabei ist, Deutsch zu lernen und mitten in der Arbeit an ihrer Dissertation steckt (für die sie nach eigenen Angaben schon an die 2.000 Seiten deutschsprachige Fachliteratur gelesen und ins Englische übersetzt hat) – als Silke Kleemann die Frage stellt, woher Zena all ihre Stärke nehme und ihren Optimismus, antwortet sie: „Das ist unser Blut, wir sind Syrer.“ Außerdem verweist sie auf all die Syrer, die sich im Jahr sieben des Bürgerkriegs befinden, und noch immer stark sind.

Zena ist Syrerin, sie ist vielleicht aber auch eine Ausnahmeperson mit einer Ausnahmebiographie und sicherlich eine bemerkenswerte Frau in einer bemerkenswerten Situation: Da der Schwerpunkt ihrer Doktorarbeit eine vorderasiatische Göttin ist, wären ihr idealer Forschungsort syrische Museen und Kunstsammlungen, doch das würde bedeuten, sich mitten ins Bürgerkriegsgeschehen zu begeben. Als DAAD-Doktorandin ist Zena zwar mit einem Studentenvisum in Deutschland, das bedeutet aber nicht, dass sie auch automatisch Visa für alle anderen europäische Länder hat. Auch Recherchen in bedeutenden anderen Museen, wie zum Beispiel dem British Museum in London, kommen für sie also nicht in Frage. Ihre Doktorarbeit hat „die Entwicklung der Gottheit LAMA auf Rollsiegeln im Syrien des zweiten Jahrtausends v. Chr.“ zum Thema. Ganz besonders reizt Zena an dieser fürbittenden Gottheit, die als Bindeglied zwischen Anbetern und Göttern dient, dass es noch keine konkrete Definition für sie gibt. Außerdem möchte sie herausfinden, warum LAMA immer als weibliche  Gottheit  dargestellt wurde. Wann denn ihr Entschluss gereift wäre, Archäologie zu studieren, will Silke wissen, und Zena offenbart, dass man kaum von einem Entschluss sprechen könne. „Ich war schon immer interessiert an vorderasiatischer Archäologie und verliebt in die Mythologie. Schon in der Schule wusste ich, dass ich Archäologie studieren werde.“

Zena hat eindeutige Vorstellungen, und im folgenden Gespräch hat sie auch ziemlich eindeutige Antworten. Die Frage, ob sie sich eine Rückkehr nach Syrien vorstellen kann, wird wohl am eindeutigsten beantwortet: „Wenn unsere Generation nicht zurückgeht, wer dann?“, sagt sie und erzählt von einem syrischen Professor, der mittlerweile am Pariser Louvre arbeitet und am ersten Aprilwochenende an einem Archäologenkongress in München teilgenommen hat. „Wenn eure Generation nicht zurückgeht, wer soll dann Syrien wieder in Ordnung bringen!“, hat er Zena und Raaed auf dem Kongress bestärkt. Und genau das ist auch ihr Plan: wieder zurückgehen nach Syrien und aktiv am Wiederaufbau mithelfen. Vor allem am Wiederaufbau und der Rekonstruktion zerstörter historischer Stätten.

Das klingt hoffnungsvoll, aber auch utopisch. „Wenn man sich all die Fotografien anschaut, zum Beispiel die von Palmyra, da ist ja alles total zerstört. Ist es überhaupt möglich, diese Stätten jemals zu rekonstruieren, oder ist es nur ein Traum?“, fragt dann auch eine junge Frau aus dem Publikum und Silke Kleemann setzt nach, inwieweit man vollständig zerstörte historische Stätten, selbst wenn sie nach historischem Vorbild wieder errichtet werden, überhaupt als authentisch betrachten kann.

 

   

 In die Zukunft blicken Raaed Alkour und Zewa Awad voller Optimismus, hier im Gespräch mit Silke Kleemann

 

Doch wo Raaed zu Beginn des Gesprächs hat anklingen lassen, dass er sich und Zena in München bisher zu wenig bei ihrem Projekt unterstützt sieht, vermitteln die beiden nun ungebrochenen Optimismus: Sehr viele Archäologie-Studenten (in aller Welt), nicht nur syrische, säßen gerade an ihren Doktorarbeiten, ständen vor dem Abschluss. Ihre Mission sei es, beim Wiederaufbau zu helfen. Schon heute kooperierten syrische Wissenschaftler miteinander: die, die Syrien verlassen haben, und die, die noch dort leben. Schon heute gäbe es an deutschen Unis Projekte, bei denen syrische und deutsche Studenten den Wiederaufbau von beispielsweise Aleppo mitplanen. Und natürlich müsse man sich Zeit nehmen und Schritt für Schritt vorgehen. Nach Syrien fahren, den Zustand der Zerstörung genau dokumentieren, vorliegende Pläne studieren, neue Pläne erstellen, rekonstruieren.

Karin Berner von der Kultur- und Kunstvermittlung des Museums Fünf Kontinente, auch sie sitzt im Publikum, gibt zu verstehen, wie angetan sie von dem geplanten Ausstellungsprojekt ist, gleichzeitig aber äußert sie Bedenken: Wie wollen Zena und Raaed verhindern, dass die Vorher-Nachher-Methode Besucher, gerade vielleicht auch syrische, womöglich sogar rauch traumatisierte Besucher, nicht in Verzweiflung oder gar Depression verfallen lasse? Was wollen sie dieser Dokumentation noch an positivem Ausblick hinzufügen?

Natürlich könne man es nicht nur beim Vorher-Nachher belassen, meint Zena. Die Dokumentation der einstmals intakten und nun zerstörten Stätten sei enorm wichtig, wichtig sei aber auch, einen Schritt weiter zu gehen à la „Wir hatten etwas Großartiges, jetzt ist es zerstört, nun müssen wir alle optimistisch sein.“ Sehr viel konkreter werden Zena und Raaed in diesem Punkt an diesem Abend nicht; auf Nachfragen des Publikums klingt noch an, dass die geplanten Dokumentarfilme eine Neuzusammenstellung von Dokumentationen historischer Stätten vor dem Bürgerkrieg und Aufnahmen während des Bürgerkriegs sein könnten. Und dass die geplanten 3D-Modell-Konstruktionen einiger zerstörten Stätten tatsächlich eine Hoffnung oder zumindest eine Vorstellung von einem „Weiter“ vermitteln könnten.

Zwei Tage nach diesem beeindruckenden, gleichzeitig erschütternden und hoffnungsfrohen Abend werden Amerikaner, Briten und Franzosen Luftangriffe auf Syrien fliegen, in deren Folge  die Frage gestellt werden wird, wie berechtigt diese Angriffe waren. Erneut wird auch die Notwendigkeit einer politischen Lösung bekräftigt werden. Und Frankreichs Staatspräsident Macron wird eine neue diplomatische Initiative in Syrien ankündigen. Nicht nur in der internationalen Staatengemeinschaft, nicht nur auf Regierungsebene, nicht nur als Politiker wird man sich fragen, wie es jetzt eigentlich weiter gehen soll, kann oder muss. Wer am 12. April im Münchner Museum Fünf Kontinente zu Gast war, wird sich dann an diesen Abend zurückerinnern und sich im Rückblick darüber freuen können, wie hoffnungsvoll und gleichzeitig konkret er dann doch war.

 

Die Veranstaltungen der Meet your neighbours-Reihe 2017/18 finden statt in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und der Stiftung :do.