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30.03.2018, 15:17 Uhr
Harald Beck
Text & Debatte

Harald Beck auf den Spuren von Gottfried Keller in München I

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Johann Salomon Hegi (1814-96): Gottfried Keller im Alter von 22 Jahren, 1841.

Der Schweizer Dichter, Maler und Politiker Gottfried Keller (1819-1890) zählt zu den großen Erzählern des bürgerlichen Realismus durch seine beiden Romane Der grüne Heinrich (1854-55/1879-80) und Martin Salander (1886) sowie durch seine Novellen und Erzählungen (u.a. Die Leute von Seldwyla, 1873/74; Züricher Novellen, 1877). Seine Erzählkunst ist durch eine besondere Ausdrucksvielfalt, hintergründige bis scharfe Satire, Ironie, Witz und Humor gekennzeichnet. Gottfried Keller wollte zunächst Maler werden, entschied sich dann jedoch für den Schriftstellerberuf. Seine Zeit als Maler ist untrennbar verknüpft mit München, wo er sich an der Königlichen Akademie der Künste 1840 weiterbilden wollte. Der Münchner Übersetzer und James-Joyce-Kenner Harald Beck hat die Stationen von Kellers Aufenthalt verfolgt, die wir in zwei Teilen im Literaturportal Bayern anbieten.

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Seinem Grünen Heinrich nach zu schließen leuchtete München auch schon dem 21-jährigen Gottfried Keller, der aus Zürich angereist war, um im blühenden Isar-Athen als Landschaftsmaler zu reüssieren:

Mit dem Sonnenuntergange [...] erreichte ich das Ziel meiner Reise, die große Hauptstadt, welche mit ihren Steinmassen und großen Baumgruppen auf einer weiten Ebene sich dehnte. [...] Da glühten im letzten Abendscheine griechische Giebelfelder und gotische Türme; Säulenreihen tauchten ihre geschmückten Häupter noch in den Rosenglanz, helle gegossene Erzbilder, funkelneu, schimmerten aus dem Helldunkel der Dämmerung, wie wenn sie noch das warme Tageslicht von sich gäben [...].

Was so verheißungsvoll begann am 15. Mai 1840, sollte jedoch im November 1842 in trübseliger Enttäuschung enden. In einem kritischen Rückblick diagnostiziert Keller Jahre später: „Ich war ohne Empfehlungen gekommen, lebte ohne nähere Bekanntschaft mit ausgezeichneten Künstlern, auf der Akademie war für die Landschaftsmalerei gar kein Lehrer, noch Raum: so war ich mir wieder selbst überlassen.“ Aber für ausgedehnte autodidaktische Studien der Natur fehlen ihm die finanziellen Mittel.

Als er 1843 dieses Sonettfragment reimt, hatte München jedenfalls aufgehört, ihm zu leuchten:

Ein liederliches, sittenloses Nest
voll Fanatismus, Grobheit, Kälbertreiber,
voll Heil'genbilder, Knödel, Radiweiber.

In höherer Stimmigkeit jedoch weist die bittere Erfahrung des Scheiterns als Maler in München Keller den Weg zur Laufbahn des gefeierten Schriftstellers.

Das Bräuhaus zum Oberspaten befand sich in der Neuhausergasse 4.

Kellers erste dauerhafte Bleibe in München war ein Zimmer in der Neuhausergasse 22, annähernd gegenüber der Bürgersaalkirche, rückwärts im 3. Stock, das ein Schweizer Freund, Johann Müller, freigemacht hatte. Die Adresse entspricht der heutigen Nr. 35 in der Neuhauser Straße, die erwartbar die gesichtslose Beliebigkeit heutiger Innenstadtfassaden aufweist. Ein Bronzeporträt, mit dem die Vontobel-Bank Zürich-München diskret auf sich aufmerksam macht, weist seit einigen Jahren auf den nützlich-prominenten Eidgenossen hin, der sich hier einst mühsam genug durchschlug. Hier lag der junge Keller im August und September über mehrere Wochen auf Leben und Tod an Schleimfieber (enterischem Typhus) erkrankt danieder. Im Sommer 1840 herrschte wieder einmal eine Typhusepidemie in München, und der junge Künstler verdankte sein Überleben nicht zuletzt der Tatsache, dass er nicht in eines der örtlichen Hospitäler kam, deren Typhus-Sterberaten drastisch über dem Durchschnitt lagen.

Mittlerweile unzufrieden mit dem Hauspersonal zieht Keller im Februar 1841 um in ein Zimmer in der nahe gelegenen Lerchenstraße 40 (heute Schwanthalerstraße), das vor ihm u.a. der Schlachtenmaler Feodor Dietz (1813-70) bewohnt hatte.

„Strabo“ (der Schielende), wie ihn seine Freunde nannten, war in München kein Kind von Traurigkeit oder ehrgeiziger Zielstrebigkeit; er lebte meist in den Tag und vor allem die bierselige Nacht hinein und scheute sich nicht vor ruppigen, mutwilligen Auseinandersetzungen mit Kommilitonen und Philistern, wie folgendes Bild von Freund Werdmüller mit dem Titel Gottfried Keller überwindet den Pfiferjoggeli karikiert (Keller mit Kappe, Bart und Brille):

 

Johann Conrad Werdmüller (1819-92): Gottfried Keller überwindet den Pfiferjoggeli. Federzeichnung, um 1840/42.

Seine Münchner „Familie“ bestand zu dieser Zeit hauptsächlich aus Mitgliedern der Schweizergesellschaft, die im Wagnerbräu in der Neuhausergasse 12 und später nach internen Querelen in der Taube („Zur blauen Taube“) vor dem Sendlinger Tor zusammenkamen. Von Kellers zahlreichen Stammkneipen, zu denen auch Joseph Welkers Buttermelchergarten (Buttermelcherstraße 3) und Nicolaus Schuhmanns „Bierwirthschaft“ am Karlsplatz 12 gehörten, ist heute keine Spur mehr zu finden. Seine bevorzugten Ausflugsorte vor den Toren der Stadt bestehen aber noch heute: das Asam-Schlößl Maria Einsiedel in Thalkirchen (die Zentralbibliothek in Zürich besitzt ein Aquarell Kellers) und die Waldgaststätte in Großhesselohe, damals noch ohne die markante Eisenbahnbrücke.

Asam-Schlößl, Benediktbeuerer Straße 19, Fotografie um 1960/1970 (Bayerische Staatsbibliothek/Fruhstorfer)

 

Fortsetzung folgt ...