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01.12.2017, 07:50 Uhr
Johanna Jauss
Oskar Maria Graf-Reihe
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Oskar Maria Graf bei einer Lesung des Tukan-Kreises am 21. Juli 1958 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Letzte Folge zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (13): Seine Freundschaft zu Anne Marie Jauss

Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Johanna Jauss berichtet von einer lebenslangen Freundschaft, dem Leben einer Künstlerin und einem Wiedersehen in New York.

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Oskar Maria Graf und Anne Marie Jauss

Die beiden kannten sich aus der Bohème-Zeit im Schwabing der 1920er Jahre, aus dem „Simpl“, wo Graf oft verkehrte und auch Anne Marie Jauss häufig mit ihren Freunden Julius Gescher, mit Joachim Ringelnatz und seiner Frau „Muschelkalk“, den Schauspielern Ernst Ginsberg und Kurt Horwitz die Abende verbrachte. Als viele Jahre später Anne Marie Jauss in New York eintraf, war es ein herzliches Wiedersehen mit Oskar Maria Graf.

Anne Marie Jauss wurde 1902 in München geboren, ihr Vater war Maler, Impressionist, die Mutter Pianistin und Malerin. Anne Marie Jauss ging in München, Meran und Stuttgart aufs Gymnasium, dann besuchte sie die Kunstgewerbeschule in München, denn ihr zeichnerisches Talent war schon als Kind offensichtlich. Allerdings schmiss sie nach einiger Zeit die Schule hin. „Du musst malen!“ ermutigte sie Willi Geiger und übernahm ihre weitere Ausbildung, insbesondere in Graphik und Buchkunst. Beim Malen hatte Georg Schrimpf, der Freund von Oskar Maria Graf, großen Einfluss auf ihre künstlerische Entwicklung.

 

Oskar Maria Graf, 1927, Porträt von Georg Schrimpf. Der Maler beeinflusste den Stil Anne Marie Jauss' nachhaltig.

 

Ab 1928 hielt sich Anne Marie Jauss häufig in Berlin auf, sie beteiligte sich an Ausstellungen in Berlin, München, Düsseldorf und Dresden. Alfred Flechtheim wurde ihr Kunsthändler. Mehrere Artikel über sie und von ihr erschienen im Querschnitt, in Magazinen und Zeitungen. Sie fand gute Aufnahme im Kreis der zeitgenössischen Maler und Schriftsteller. Der damals führende Kunstkritiker Franz Roh ordnete in seinem Artikel Malereien (in: Das Kunstblatt, 1927) ihren Malstil dem „Magischen Realismus“ zu.

Sie hatte also einen sehr guten Anfang in Deutschland gemacht.

 

Flucht aus Deutschland

Aber dann kam Hitler. Anne Marie Jauss war überzeugte Pazifistin, konnte die Intoleranz und beginnenden Aggressionen der Nazis nicht verkraften und wollte auch nicht wegsehen; so verließ sie Deutschland im Oktober 1932, da sie Drohungen erhalten hatte. Als Gepäck hatte sie nur einen kleinen Handkoffer und die erlaubten zehn Mark dabei. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Hitler über längere Zeit in Deutschland regieren würde, und wollte in Portugal die Entwicklung abwarten. Daraus wurden 14 Jahre! Nur 1936 kehrte sie noch einmal nach Deutschland zurück, um ihre Sachen abzuholen und ihr Haus in Irschenhausen im Isartal zu vermieten. Auf dem Weg von Lissabon nach Berlin war sie ein paar Tage in Paris geblieben und brachte dem Kunsthistoriker Wilhelm Uhde, mit dem sie korrespondiert hatte und der sich für ihre Arbeiten interessierte, einige ihrer Bilder.

Sie war erschüttert, wie sehr sich Deutschland verändert hatte, und froh, das Land im Dezember 1936 per Schiff wieder verlassen zu können.

Die Jahre in Portugal waren eine sehr kreative Zeit für Anne Marie Jauss, die dort in ihrer künstlerischen Entwicklung völlig auf sich allein gestellt war. Sie fand Anerkennung als Malerin, Illustratorin, Designerin und Fayencemalerin, hatte fünf Einzelausstellungen und beteiligte sich an Ausstellungen zeitgenössischer portugiesischer Maler. Von der dortigen Regierung erhielt sie den Auftrag, die komplette Innenausstattung der ersten „Pousada“ in der Algarve, in São Bras de Alportel, zu entwerfen und auszuführen, von den Möbeln bis zu den Beleuchtungskörpern.

1939 brach der Krieg aus, und man wurde auch in Portugal vorsichtig, man war ja nicht sicher, ob das kleine Land nicht auch noch verschluckt würde. Wenn nachts Flugzeuge über Lissabon flogen, fragte man sich: „Sind sie das schon?“ Viele Beamte der Internationalen Polizei waren von den Nazis bezahlt, und man wusste nicht, wie weit man überwacht war.

1940/41 war eine bewegte Zeit in Portugal, als ein Strom von Flüchtlingen, hauptsächlich aus Deutschland, ins Land kam. Anne Marie Jauss ging oft zu den Schifffahrtsagenturen und verschiedenen Komitees sowie zur Internationalen Polizei, um Schiffspassagen und Durchreisvisen für ihre deutschen und jüdischen Freunde und Bekannte zu besorgen, darunter auch Annette Kolb, Eugen Gürster und der bekannte Verleger Kurt Wolff mit seiner Frau Helene.

Als die Alliierten große Fortschritte machten, atmete man wieder leichter, und als der Krieg zu Ende war, suchte Anne Marie Jauss um ein Visum für die Einreise in die USA an, da viele ihrer Freunde nach Amerika ausgewandert waren. Im Mai 1946 erhielt sie das ersehnte Einreisevisum.

 

Ein herzliches Wiedersehen

Sie ließ sich in New York nieder und nahm Kontakt zu Oskar Maria Graf auf, mit dem es ein herzliches Wiedersehen gab. Man besuchte sich gegenseitig, es gab ja auch viele Berührungspunkte, da die Familie Jauss ein Haus in Irschenhausen hatte, wo Anne Marie in ihrer Kindheit und Jugend die Sommermonate verbracht hatte. So kannte sie die Gegend um Berg sehr gut, schließlich liegt Irschenhausen nur gute acht Kilometer von Berg und dem Starnberger See entfernt. Auch hatten sie viele gemeinsame Bekannte aus der Schwabinger Zeit und in vielen Dingen ähnliche Ansichten.

In seinem Brief vom 1. August 1952 schickte Graf ihr ein Gedicht, das er Ami (Anne Marie) gewidmet hatte. Von seinen sämtlichen Neuerscheinungen schenkte er ihr jeweils ein Exemplar mit persönlicher Widmung; außerdem erwarb er ein Ölbild und Grafiken von Anne Marie Jauss. Ein Zitat aus dem Brief:

 

„Vielleicht hinterließ dieser Abend nur deswegen in Dir und mir das Gefühl des Glücklichen, weil er uns wieder die Atmosphäre des Gewesenen und Niewiederkehrenden brachte: eine so liebe Melancholie ohne sentimentale Traurigkeit. […] Ich schreib das nur so her, weil Du mich gefreut hast, als Du anriefst und weil Du mir sagtest, was Dir an den Gedichten gefallen hat. Ich schick Dir nun da eins von den Versen, die Du gern magst und komischerweise habe ich dir – jetzt weil ich schon seit einigen Wochen diese Gedichte abgeschlossen und in meiner Schublade verwahrt habe – dieses Gedicht gewidmet. Hoffentlich lachst Du mich nicht aus deswegen oder verargst es mir.“

 

Wie schade, dass uns das Gedicht nicht erhalten ist! Es war wohl bei den Briefen und Unterlagen, die nach dem Tod von Anne Marie verbrannt wurden, so wie sie es verfügt hatte. Dieser einzige Brief von Graf blieb uns erhalten, er steckte in seinem Buch Wir sind Gefangene, das Anne Marie hinterlassen hat.

 

Der ewige Kalender und andere Buchillustrationen

1954 trafen sich die Freunde und Bekannten von Oskar Maria Graf, um zu beratschlagen, womit man ihm zu seinem Geburtstag eine Freude machen könnte. Dies waren unter anderen der Journalist und Herausgeber Dr. Manfred Georg (Chefredakteur des AUFBAU), Kurt Pinthus (Columbia University, New York) und Claire Goll, Fenja und Marc Ginsberg, Sarah und Bernhard J. Springer sowie Olga Mayer. Nach vielen Vorschlägen regte Anne Marie Jauss an, die Verse von Graf zu veröffentlichen, und bot an, diese mit ihren Zeichnungen auszugestalten, was sie ehrenhalber übernehmen wollte. So entstand Der ewige Kalender ein Buch mit ganzseitigen Illustrationen in Rot und Schwarz auf der linken Seite und den Versen von Oskar Maria Graf auf der rechten. Es wurde von der Profile Press, New York, in einer einmaligen, nummerierten Auflage von 500 Exemplaren herausgegeben, von denen 250 vom Autor und der Illustratorin signiert waren. Das Buch kam nicht in den öffentlichen Buchhandel, sondern wurde nur privat verkauft. Den Erlös daraus überreichte man Oskar Maria Graf bei seiner Geburtstagsfeier am 22. Juni 1954, zusammen mit den aus aller Welt eingelaufenen Gratulationen.

 

Zeichnung von Anne Marie Jauss auf dem Titel des Ewigen Kalenders von Oskar Maria Graf

 

Die Freundschaft mit Oskar Maria Graf dauerte an bis zu seinem Tod. Zufälligerweise haben sich noch zwei Postkarten von ihm und seiner Frau Gisela vom 7. Juli und 12. August 1965 an Ami (Anne Marie Jauss) aus seinem Aufenthalt in Bad Reichenhall gefunden.

Der Malstil des „Magischen Realismus“ war in den Vereinigten Staaten nicht gefragt, außerdem wollte sich auch Anne Marie verändern und wandte sich der Buchillustration zu. Sie bekam 1948 den Auftrag für ihr erstes Buch The Stars in Our Heaven, verfasst von Peter Lum. Es erschien im Pantheon Verlag von Kurt Wolff. Für diese Art der Darstellung des Sternenhimmels als weiße Zeichnungen auf schwarzem Grund erhielt sie hervorragende Kritiken, und in der Folge rissen die Aufträge nicht ab. Sie malte und illustrierte mit einem sicheren Gespür für Form und Farbe, einem tiefen Verständnis für die Natur sowie einem trefflichen Sinn für Humor gut 80 Bücher, zumeist für Kinder und Jugendliche. Sie schrieb und zeichnete sechs eigene Bücher, auch hier waren Natur und Tierwelt ihre Schwerpunktthemen.

 

      

Anne Marie Jauss als Buchillustratorin: The Stars in Our Heaven, The Pasture, Under a Green Roof & Tracking the Unearthly Creatures of Marsh and Pond

 

Mit den Jahren wurde ihr New York aber zu hektisch, sie fand ein Grundstück im Norden New Jerseys, bei Stockholm, wo sie sich 1962 ein kleines Haus baute. Sie zog sie dorthin, aufs Land, in die Nachbarschaft einer Farm, wo sie wunderbar arbeiten konnte, so wie es ihr am besten entsprach – in der Natur. Dort schrieb und illustrierte sie auch eines ihrer besten Bücher, The Pasture, für das sie ausgezeichnet wurde, und dort entstanden auch die Zeichnungen für das Buch Tracking the Unearthly Creatures of Marsh and Pond (Auf der Spur der unheimlichen Wesen in Sumpf und Teich) von Howard G. Smith, für das sie den Christopher Award erhielt.

Im Alter von 73 Jahren gab sie die Buchillustration auf, nun malte sie wieder, mit einer eigenen trockenen Aquarelltechnik; Motive waren die sie umgebenden Landschaften, Häuser, Tiere und Pflanzen.

Dieses ereignisreiche Leben zusammenfassend kann man sagen, dass Anne Marie Jauss ihre Karriere drei Mal ganz von vorne beginnen musste, zuerst in Deutschland, dann in Portugal und schließlich in den USA, und sie schaffte es drei Mal, nach oben zu kommen. Sie behielt ihren in Deutschland geprägten Malstil ein Leben lang konsequent bei, wie ihr guter Freund, der Schauspieler Ernst Ginsberg, in einem Brief an Anne Marie schreibt: „Ich habe die Kraft und Konsequenz Deines Lebens immer bewundert.“

Anne Marie starb in New Jersey, 89 Jahre alt, am 13. September 1991.

 

2016 erschien ein Buch über Anne Marie Jauss im Allitera Verlag, München: Magischer Realismus – Anne Marie Jauss 1902 – 1991, mit Biographie und Werkverzeichnis, zweisprachig, Deutsch und Englisch.

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