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22.08.2017, 08:07 Uhr
Renée Rauchalles
Oskar Maria Graf-Reihe
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(c) Folker Schellenberg

Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (2): Warum seine Lederhose zum Eklat führte

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22. August 1958: Oskar Maria Graf liest in bayerischer Tracht zur 800-Jahr-Feier München im Cuvilliés-Theater © Bayerische Staatsbibliothek München / Bildarchiv

Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München 2017) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Mit einer Blogreihe zum Jubiläum sagt auch das Literaturportal Bayern: Dankschee und Pfiad di, Oskar! Über den 'Lederhosen-Eklat' schreibt in dieser Folge Renée Rauchalles.

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Irritiert blickte Oskar Maria Graf, US-Staatsbürger seit Dezember 1957,  in die Runde, als er am 3. Juli 1958 zum ersten Mal nach 25 Jahren wieder heimatlichen Boden betrat am Flughafen Riem, mit Landeverspätung. Niemand war da von der Stadt München, auf deren Einladung er gekommen war. Die verdankte sich einer Petition amerikanischer Professoren, ihn anlässlich der 800-Jahr-Feier München, zu einer Lesung einzuladen.1 Nun stand er da in seiner bayerischen Tracht, stürmisch umringt von zahlreichen Fotografen und Journalisten, Verlegern und Freunden, Tochter und Enkelin. Nach der vom Freund Gottlieb Branz, SPD-Stadtrat und Direktor der Städtischen Bibliotheken, übernommenen Begrüßung fuhr dieser mit Graf in einem Lieferwagen Richtung Stadt, wo allerdings kein Hotelzimmer für ihn gebucht war. Man ging davon aus, dass er in der Gastwirtschaft seines Bruders am Starnberger See unterkommt. Missstimmung kam auf, die sich steigerte, als Graf anderntags verkündete, dass er in seiner Bayerntracht auftreten werde, man ihm aber erklärte, das sei nach eiserner Vorschrift unmöglich, man trage im Cuvilliés-Theater Abendanzug.

Darin hätte er sicher eleganter ausgesehen, aber in kurzen Lederhosn auf der Bühne des Cuvillies-Theaters zu lesen war origineller. Nicht so für die zuständigen Herren der Stadt München. Für die passte die ehrwürdige und prunkvolle Atmosphäre des renovierten Rokokotheaters mit einer Krachledernen einfach nicht zusammen. Oskar Maria Graf, allenthalben mit Attributten bedacht wie widerborstig, rebellisch, kämpferisch, derb, feinfühlig, berührend, bestand dennoch darauf, in der bayerischen Tracht aufzutreten, mit der er vor 25 Jahren Deutschland verlassen habe. „Ich hielt ihnen entgegen, ob sie etwa einem Inder, wenn er dort spräche, die landesübliche Kleidung verbieten würden und ob sie etwa wünschten, daß ein Anzug droben säße oder ein Autor.“

Die Herren hielten Sitzung für Sitzung ab und wollten ihn in die Kammerspiele abschieben. Und weil er sich weigerte, „gab dieser Herr Hohenemser überhaupt keine Antwort mehr“, schrieb Graf weiter am 30. Juli 1958 an den Schriftsteller Hugo Hartung. Letztendlich konnte er sich dank des Einschreitens des Oberbürgermeisters Thomas Wimmer doch gegen die vorgeschriebene Kleiderverordnung durchsetzen und im bayerischen Outfit am 22. August 1958 im festlich geschmückten Theater seine legendäre Lesung halten: vor leeren ersten Sitzreihen, wie die Witwe Gisela Graf (seine dritte Frau) im Juli 1992 in der Villa Waldberta am Starnberger See erzählte, denn von den Honoratioren der Stadt München war niemand erschienen. Auch Besucher mokierten sich über Grafs unpassende Kleidung und verließen das spärlich besetzte Theater. Dass sein Auftritt in der Lederhose einen solchen Aufruhr verursachen und sich die Presse auf diesen Skandal stürzen würde, hatte er durchaus geahnt und vielleicht auch damit geliebäugelt. Er hatte Lust am Provozieren, „um den Haufen der Witzlosen und Voreingenommenen zu schockieren“, egal ob sich das gut oder schlecht für ihn auszahlte.

Enttäuschend jedoch war für den zum öffentlichen Aufreger Gewordenen die Reaktion von Erich Kästner. Der nämlich weigerte sich, wie vorgesehen die Laudatio zu halten, und torpedierte damit die Lesung. Dass er in Sachen Kleidung solch ein Kleinbürger war, erstaunte Graf. Hatte Kästner nicht begriffen, dass er mit der Lederhose seine Verbundenheit mit Bayern ausdrücken wollte? Sie war doch seine zweite Haut, die er ständig trug, auch in den Staaten. Als er im Februar 1933 zu einem Vortrag nach Wien reiste und wegen des Hitlerregimes im Februar 1934 weiter nach Brünn, dann nach Prag, und 1938 über die Niederlande in die USA emigrierte, hat er mit ihr buchstäblich Bayern nach Amerika getragen – und sich nie mehr von ihr getrennt.

Kästners Hochachtung für seine Bedeutung als Schriftsteller war ihm dagegen sicher, er hatte ihn Herbst 1949 zur Mitgliedschaft in den westdeutschen PEN-Club eingeladen. Und als er von seinen Schwierigkeiten erfuhr, ein „Re-Entry Permit“ zu bekommen (ohne das man bei Verlassen der USA für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr zurückkehren kann), schickte  ihm Kästner am 31. Juli 1950 ein Schreiben, adressiert an die O.N.I., in dem er Grafs schriftstellerische Qualität und charaktervolle Haltung hervorhob, die durchaus Unterstützung verdiene. Das war Kästner wie man ihn kennt, hilfsbereit wenn man ihn brauchte – umso unverständlicher dieser unfassbare Eklat wegen seiner Lederhose! In Amerika war man viel toleranter, dort trug Graf sie immer! Was sollte ihn also hier halten, hier, wo es ihm „politisch vor Bayern und München graust[e]“, er München geradezu hasste (einer Rückkehr nach Deutschland war er dennoch nicht abgeneigt), wo er die Herren Autoren gründlich kennengelernt hatte – „lauter kriechende Betbrüder und gewesene Nazis, die jetzt nichts mehr wissen“ (Brief an Ernst Waldinger vom 12.2.1959).

Nach vier Monaten Aufenthalt in Europa flog Oskar Maria Graf zurück nach New York, wo er zusammen mit seiner langjährigen Lebensgefährtin (Heirat 1944), der Ende 1959 verstorbenen Jüdin Mirjam Sachs, in einem 64 qm kleinen Apartment mit Blick auf den Hudson River wohnte, wo er 1942 mit deutschen Schriftstellerkollegen den Aurora Verlag gegründet, wo er unter anderem sein in Brünn begonnenes Hauptwerk, den autobiografischen Roman Das Leben meiner Mutter vollendet hatte, und wo er – nach drei weiteren Europareisen – am 28. Juni 1967 starb. Seine Urne wurde auf dem Alten Bogenhausener Friedhof in München beigesetzt. Jahre später auch die von Erich Kästner und Rainer Werner Fassbinder, der Grafs Buch Bolwieser verfilmt hatte.

 

[1] Gisela Graf bei einem Gespräch in der Villa Waldberta.

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Renée Rauchalles ist Autorin, Künstlerin und Dozentin und lebt in ihrer Geburtsstadt München, wo sie Grafik, Malerei, Operngesang und Schauspiel studierte und u.a. am Residenztheater München tätig war. 17 Jahre stellte sie in ihrer ZEITfürKunst-GALERIE in selbstkonzipierten zahlreichen Lesungen vorwiegend Lyrikerinnen vor, die teilweise auch Eingang fanden in ihre Lyrik-Anthologie Mir träumte meine Mutter wieder – Autorinnen und Autoren über ihre Mütter. Sie veröffentlicht eigene Lyrik, Prosa, Essays sowie Sachliteratur. Ihr bildnerisches Werk ist regelmäßig in Ausstellungen zu sehen.

Sekundärliteratur:

Helmut F. Pfanner: Oskar Maria Graf. Eine kritische Bibliographie, Bern und München 1976.

Hans-Rüdiger Schwab: München. Dichter sehen eine Stadt. Briefe an Hugo Hartung, Ernst Waldinger, Waldemar von Knoeringen, S. 310.

OMG-Journale der Oskar-Maria-Graf-Gesellschaft 2002, 2013.

Externe Links:

Website Literatur in Bayern

Oskar Maria Graf im Allitera Verlag

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