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02.05.2017, 14:27 Uhr
Norbert Göttler
Ludwig Thoma-Reihe
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Dr. Norbert Göttler

150 Jahre Ludwig Thoma (5): Ein neues Theaterstück in Dachau

Anlässlich seines 150. Geburtstages veröffentlichen wir eine kleine Blogreihe zu Ludwig Thoma. Seit Ende Mai läuft im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau Norbert Göttlers Theaterstück Thoma – Eine Selbstzerstörung. Die Aufführung markiert einen ersten Höhepunkt im Veranstaltungskalender der Ludwig-Thoma-Gemeinde Dachau. Das ganze Jahr über werden zahlreiche weitere Veranstaltungen über Ludwig Thomas Leben und Werk stattfinden.

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Thoma – Eine Selbstzerstörung verbindet auf sehr eindrucksvolle Art und Weise die Biographie Ludwig Thomas mit dessen eigenen dramatischen Texten. Es entsteht eine Collage aus biographischen Elementen, Sequenzen aus Thomas Stücken und seinen Briefen und Gedichten.

Schon zu Beginn wird Thoma von Figuren aus seinen eigenen Werken eingeholt oder gar heimgesucht. Auch im weiteren Verlauf des Stücks werden immer wieder kurze Szenen etwa aus Magdalena, Erste Klasse, den Lausbubengeschichten oder Lokalbahn eingestreut. Das schlichte, aber liebevolle Bühnenbild setzt die Technik geschickt ein, so dass mit wenigen Mitteln aus der Tuften eine Bauernstube oder ein Zugabteil wird.

Auch Erlebnisse und Personen aus Thomas bewegtem Leben sind Teil der Handlung. So wird vom Tod enger Freunde, seiner Zeit im Gefängnis Stadelheim, der Arbeit beim Simplicissimus und Streitigkeiten ob dessen politischer und gesellschaftlicher Ausrichtung berichtet. Zentral sind Thomas schwierige Beziehungen zu Marietta del Rigardo und der verheirateten Jüdin Maidi von Liebermann (geb. Feist-Belmont). Doch wird auch Ludwig Thomas Nähe zu antidemokratischem und antisemitischem Gedankengut, das er in Beiträgen für den Miesbacher Anzeiger veröffentlicht, nicht außen vor gelassen. Das Bühnengeschehen unterbricht dabei immer wieder die Figur des Zitators, der aus Briefen und Gedichten Thomas vorliest. Dadurch bekommt der Zuschauer ein sehr umfangreiches Bild von der ambivalenten, zerrissenen Person Ludwig Thoma.

   

alle Fotos (c) Judith Bauer/Literaturportal Bayern

Mit Dr. Norbert Göttler haben wir uns über sein Bühnenstück, die damit verbundenen Herausforderungen und Thomas Biographie unterhalten.

Literaturportal Bayern: Was verbinden Sie persönlich mit Ludwig Thoma?

Norbert Göttler: Wenn man als Autor hier in Dachau geboren und aufgewachsen ist, dann hat man mit Thoma von Kindesbeinen an zu tun: Thoma-Straße, Thoma-Haus, Thoma-Bier, Thoma-Braten – Ludwig Thoma ist hier omnipräsent. Und irgendwann ist es dann so, dass einen die Geschichte Thomas einholt und man natürlich auch seine Zerrissenheit kennenlernt. Wenn es darum geht, ein Stück zu schreiben – es handelte sich hier um eine Auftragsarbeit – dann muss man sich auch diesem Thema stellen, denn man kann heute nicht mehr so naiv an Thoma herangehen wie früher. Das haben wir auch gar nicht versucht, wir wollten die historischen und literaturhistorischen Gegebenheiten zur Kenntnis zu nehmen und auf die Bühne bringen. Es ist das erste Mal, dass so etwas passiert.

Ludwig Thoma wäre dieses Jahr 150 Jahre alt geworden. Welche Relevanz und Aktualität hat seine Biographie heute noch?

Die Relevanz Thomas hat ganz große Sprünge und Ausschläge erlebt. Thoma kam aus kleinen Verhältnissen. Es war überhaupt nicht vorgesehen, dass er in die literarische Welt einsteigt. Im späten 19. Jahrhundert ist er aber einer der markantesten Publizisten und Journalisten geworden, der in ganz Deutschland und sogar darüber hinaus Bedeutung hatte. Als diese Bedeutung wieder abgesunken ist, hat ihn das natürlich verbittert. Daher stammt auch seine Zerrissenheit. In den 1970er Jahren war es dann wieder so, dass er als der Bayern-Dichter schlechthin gesehen wurde. Bis dann einer breiteren Öffentlichkeit seine Verwicklung in den Miesbacher Anzeiger bekannt wurde. Ich sage „einer breiteren Öffentlichkeit“, denn einer Minderheit war es immer bekannt – schon seit den 1920er Jahren. Und heute ist es ja eher wieder so, dass diese Verwicklungen bei vielen vergessen sind. Aber in diesem Jahr und mit vielen Veranstaltungen soll doch wieder das Interesse daran geweckt werden. Man muss Thoma nicht mögen, wir sind da alle zerrissen, aber er ist eine wichtige Person der Zeitgeschichte. Daher muss man ihn zumindest zur Kenntnis nehmen.

Sollte man das Werk Thomas unabhängig von seiner Biographie sehen?

Das ist die ganz wichtige und entscheidende Frage. Kann man Werk und Person trennen? Ich persönlich glaube, dass man das nicht pauschal sagen kann. Es ist unstrittig, dass Thoma in weiten Teilen seines Werkes durchaus hohen literarischen Rang hat. Wenn man jetzt seine Biographie nicht kennen würde, müsste man sagen, dass sein Werk sicherlich zur bedeutenden deutschen Literaturgeschichte gehört. Ob man seine Umstände, sein Leben, seine Biographie davon trennen kann, das muss der einzelne Leser sagen. Kann ich ein Stück wie Magdalena anschauen, ohne dass vor dem inneren Auge auch Thomas Leben abläuft? Ganz ehrlich, ich persönlich habe Schwierigkeiten damit, aber es gibt sicher viele Leute, die das können. Das ist bei Musikern einfacher. Kann man Strauss hören, ohne an seine Verstrickungen im Dritten Reich zu denken? Oder Carl Orffs Carmina Burana, die dieses Jahr 70 Jahre alt wird und im Dritten Reich uraufgeführt wurde? Das muss jeder für sich selbst entscheiden. In der Literatur ist es aber offenbar schwerer, da Literatur einfach intellektueller ist.

   

Muss man zum Schutze seiner Literatur vielleicht sogar dankbar sein, dass Thoma dann recht rasch gestorben ist? Was wäre aus Thoma im aufziehenden Nationalsozialismus geworden?

Das ist eine fiktive Frage. Man kann einerseits sagen, dass, wenn er zwei Jahre früher gestorben wäre – wobei Thoma ja ohnehin sehr früh gestorben ist, in relativ jungen Jahren – es diese kritische Sichtweise auf ihn so nicht gegeben hätte, weil den Antisemitismus, den Thoma ja davor auch schon hatte, viele geteilt haben. Über dieses Durchschnittsmaß geht er im Miesbacher Anzeiger aber hinaus. Wenn er zwei Jahre früher gestorben wäre, wäre uns das erspart geblieben. Andererseits kann man sagen, dass Thoma, wenn er zehn Jahre länger gelebt hätte, vielleicht Mitglied der NSDAP geworden wäre. Vielleicht aktiver Nationalsozialist. Das kann schon sein, aber es ist fiktiv, wir wissen es einfach nicht. Ich weiß, dass in Thomas Schublade auf der Tuften ein Mitgliedsantrag der frühen NSDAP gefunden wurde. Aber dieser war weder ausgefüllt noch unterschrieben.

Mit welchen Herausforderungen sahen Sie sich bei der Arbeit an Thoma – Eine Selbstzerstörung konfrontiert?

Stücke schreiben ist oft Auftragsarbeit. In diesem Fall auch. Die Thoma-Gemeinde-Dachau hat mich gebeten, ein Stück über Thomas Leben zu schreiben. Schon ein Stück über einen Schriftsteller zu verfassen, ist nicht einfach. In der Regel ist ein Schriftstellerleben nämlich relativ langweilig. Sie sitzen da und schreiben, das bietet wenig für die Bühne. Es war auch von Anfang an klar, dass das Stück eine Collage werden soll. Das heißt, die Ludwig-Thoma-Gemeinde wollte, dass Teile von Thomas Stücken vorkommen. Magdalena  und die Lokalbahn zum Beispiel. Seine Stücke sollten auch wiedererkennbar sein, aber es gibt eine Rahmenhandlung, die die Tragik Thomas letzter Jahre aufgreift. Eine Biographie auf die Bühne zu bringen, ist also nicht ganz einfach. Für den Autor nicht und für die Schauspieler auch nicht, aber wir hoffen, dass es uns gelungen ist.

Wie waren die Reaktionen auf Ihr Stück?

Die ersten Reaktionen waren sehr gut, was nicht selbstverständlich ist. Eine kritische Thoma-Reflektion auf der Bühne hat es bisher nicht gegeben, das muss ich uns, also dem ganzen Team, zu Gute halten. Das hat auch ein Stückl im Volkstheater nicht gemacht, keine Kammerspiele, niemand. In Buchform schon, aber nicht auf der Bühne. Das ist hier eine Laienbühne, aber eine auf sehr hohem Niveau. Und das Entscheidende ist, dass wir gerade hier in Dachau, wo sich natürlich alle damit schwer tun, eine kritische Sichtweise auf Thoma einnehmen.

 

 

Verfasserin/Interview: Judith Bauer

 

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