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15.03.2017, 14:57 Uhr
Bernhard M. Baron
Text & Debatte
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Foto: Reinhold Willfurth

Anmerkungen zum neuen Literarischen Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck

Das Deutsche Kulturforum östliches Europa engagiert sich für die Vermittlung deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa. Dabei sind Regionen im Blick, in denen Deutsche gelebt haben oder bis heute leben. Das Kulturerbe jener Gebiete verbindet Deutschland mit seinen Nachbarn. Dies soll einer breiteren Öffentlichkeit bewusst gemacht werden – im Dialog und in zukunftsorientierter Zusammenarbeit mit Partnern aus dem östlichen Europa. In der „Potsdamer Bibliothek östliches Europa“ erscheinen Sachbücher, Bildbände und Kulturreiseführer. In diesen Tagen erschien der neue Literarische Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck.

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Hatte der interessierte und reisefreudige Literaturfreund noch vor der Lektüre von Jürgen Serkes faszinierendem Kompendium Böhmische Dörfer (1987) den Eindruck, die deutsche Literatur und deren Vermächtnis sei mit Ende des Zweiten Weltkrieges untergegangen, so wurde sie damit aus dem Vergessen und Verdrängen geholt. Nach der Wende 1989 begann – auf beiden Seiten der Grenze – ein intensives literarisches Wiederentdecken, das in der Herausgabe des neuen voluminösen Literarischen Reiseführers Böhmisches Bäderdreieck mündet und eine verdiente Renaissance erlebt.

Die weltberühmten westböhmischen Dörfer – das „Schachbrett Europas“ – waren durch alle Epochen internationaler Anziehungs- und Inspirationspunkte für Schriftsteller und andere Personen aus Kunst und Politik. Auch wenn der große Goethe unsichtbar über den zahlreichen Badeanstalten, Hotels und Parkanlagen schwebt, spiegelt sich doch in dem umfangreichen, ja detektivisch erarbeiteten und fundierten Kurort-Vademecum eine unvorstellbare Fülle deutscher, tschechischer und anderssprachiger Texte wider. Der wanderfreudige, aufgeschlossene Literaturfreund kann Spaziergänge absolvieren und an unzähligen Stellen und Plätzen „eine Minute der Besinnung“ einlegen mit einer Fülle von angereicherten Texten, die auch aufzunehmen und geistig zu verdauen sind (aufgrund ihrer zeitlichen und personellen Unterschiedlichkeit).

Wir begegnen nicht nur dem Geheimrat Goethe (auch und besonders in Martin Walsers Ein liebender Mann) und Franz Kafka, sondern auch Joseph von Eichendorff, Alexander von Humboldt, den Brüdern Grimm, Marie von Ebner-Eschenbach, Stefan Zweig, F. C. Weiskopf  oder Louis Fürnberg, entdecken den Marienbader US-Kriegsgefangenen Günter Grass und eine stimmungsvolle Erinnerung Peter Kurzecks an den Heimatort seiner Mutter.

Franz Kafka, Marie von Ebner-Eschenbach, Joseph von Eichendorff

Wohl nur bairische Insider des Literaturpanoramas wissen, dass einst der Dichter des Böhmerwaldes, Adalbert Stifter, im Mai 1865 mit seiner Frau und Nichte per Bahn von Passau über Regensburg/Weiden bis nach Mitterteich fuhr und dann weiter per Kutsche ins Böhmische anreiste, weil die Eisenbahnroute damals zu Ende war, oder an den Philosoph Karl Marx mit Tochter Eleanor, genannt Tussy, der im August 1876 von Nürnberg über Weiden mit einem beschwerlichen Güterzug ins Böhmische fuhr. Die Erholung folgte wohl später bei der Kuranwendung. Interessant auch die Marginalie des österreichischen Dichters Heimito von Doderer (Tangenten, 1964), der sich als deutscher Luftwaffenhauptmann noch Anfang März 1945 am Flugplatz Karlsbad einquartiert. Dieses Bonmot vermisse ich in diesem ansonsten so opulenten und perfekt gelungenen Literaturführer. Auch natürlich den niveauvollen Romancier, Lyriker und späteren Diplomaten und Internationalen PEN-Präsident Jiři Gruša. Dieser humanistische Grandseigneur der tschechischen und deutschen Sprache hätte hier als geistiger Brückenbauer und „Schirmherr“ nicht fehlen dürfen!

Geschickt eingeflochtene Zitate von Chateaubriand, Lord Byron, Lew Tolstoi, Mark Twain, Bozena Nemcova, Nicolai Gogol, Jan Neruda, Karel Capek, Milan Kundera oder Pavel Kohout runden die literarische illustre Fundgrube ab. Ein junger Germanist kann sich kaum vorstellen, wie in den 50er und 60er Jahren noch die einst stattlichen Bäder in Agonie versanken. So steht auch der Schwarz-weiß-Spielfilm Letztes Jahr in Marienbad (1961) von Alain Resnais – gedreht übrigens im Münchner Schloss Nymphenburg – in der westlichen Hemisphäre für die morbid-künstliche Traumwelt dieser vergangenen Epoche. Nun gehen aus Karlsbad, Marienbad – seit 2008 Partnerstadt der „Max-Reger-Stadt“ Weiden i.d. Oberpfalz – und Franzensbad neue Impulse hervor, und stattliche Fassaden mit gastronomischen Reizen laden zum Verweilen, Lesen und Nachdenken ein – wenn einen die vielen Billig-Touristen nicht stören.

Grundsätzlich lohnt es sich, die westböhmischen Bäder neu und, jetzt ausgestattet mit diesem vorzüglichen „Brevier“, speziell literarisch wiederzuentdecken!

 

Sekundärliteratur:

Gruša, Jiři (2003, 3. Aufl. 2007): Gebrauchsanweisung für Tschechien und Prag. München/Zürich.

Schieb, Roswitha (2017): Literarischer Reiseführer Böhmisches Bäderdreieck. Unter Mitarbeit von Tanja Krombach und Vaclav Petrbok, mit zahlreichen farbigen und Schwarz-weißen Abb., ausführlichem Personenverzeichnis und zweisprachigen Karten (Potsdamer Bibliothek östliches Europa – Kulturreisen). 364 S., Integralbroschur mit Lesebändchen.

Serke, Jürgen (1987): Böhmische Dörfer. Wanderungen durch eine verlassene literarische Landschaft. Wien/Hamburg.

 

Externe Links:

Deutsches Kulturforum östliches Europa

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