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24.03.2017, 12:54 Uhr
Felisa Walter
Text & Debatte

Die Siegergeschichte der PULS Lesereihe 2017

Im bereits elften Jahr in Folge rief PULS, das junge Programm des Bayerischen Rundfunks, junge Autoren, Wortkünstler und Nachwuchstalente auf, an der PULS Lesereihe teilzunehmen. Wer die Jury überzeugte, konnte im Januar und Februar 2017 in fünf bayerischen Städten seinen Text in ausgewählten Locations vor Live-Publikum präsentieren. Prominente Unterstützung bekamen die Nachwuchstalente vom Rapper Fatoni. Das Finale in München entschied die 27-jährige Nachwuchsautorin Felisa Walter für sich. Ihr Preis: ein Wochenende auf der Leipziger Buchmesse 2017 und einen exklusiven Schreibworkshop am deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Herzlichen Glückwunsch!

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Halt endlich deine Scheiß-Fresse, du Arschloch!  

Ich stehe in einer Bäckerei. Und sage zu der Verkäuferin, die nicht aussieht als hätte sie je gebacken und als wüsste sie um die Geheimnisse eines guten Hefeteigs: „Sie haben Ihre fettigen Haare zu einer Tolle auftoupiert.“ Ich bin mir unsicher, ob sich das gerade alles nur in meinem Kopf abspielt, oder doch außerhalb davon, aber ich muss nur einen Blick in das Gesicht der Verkäuferin werfen, um zu sehen, dass ich das gerade ganz offensichtlich gedacht und gesagt habe. Und dann denke ich: Scheiße. Und sage: „Scheiße.“ Als ich mich schnell umdrehe, um den Laden zu verlassen, verfehlt eine Breze nur knapp meinen Kopf. Gebacken um zu fliegen.

Ich denke: Hab ich jetzt Tourette oder was? Und sage: „Hab ich jetzt Tourette oder was?“ Und der Fußgänger den ich gerade überhole, sieht mich seltsam an. Und ich denke und sage: „Schau nicht so blöd, sonst bleibt’s dir.“

Vielleicht sollte ich heute einfach nicht mehr denken, weil irgendwie ist mir diese ganze Denk-Sache nicht geheuer. Wenig Schlaf, denke ich. Schon wieder. Ich kann’s einfach nicht lassen. Und die Frau, die neben mir in der S-Bahn sitzt, sieht mich an und sagt dann: „Jaja, das kenn ich auch.“  

Ich muss vielleicht kurz einschieben, dass ich gestern mit meiner Freundin Maria diskutiert habe. Über eine andere Freundin, Marie. Ich habe zu Marie gesagt, dass ich ihre Attitüde nicht leiden kann. Weil ich das halt eben gedacht habe. Naja, ehrlicherweise habe ich gesagt: „Ich finde deine Scheiß-Attitüde zum Kotzen. Gewöhn dir das ab!“ Und bei Marie rannen die Tränen über die berougten Backen. Und Maria meinte, ich kann nicht nur zu Marie, sondern auch ganz allgemein zu keinem Menschen so etwas sagen. Bei mir ballten sich daraufhin wütende Fäuste im Magen und boxten von innen durch meine Bauchdecke. „Man wird ja wohl noch die Wahrheit sagen dürfen!“ War kein großer Ankommer bei Maria. Bei Marie sowieso nicht, ich denke das muss ich nicht nochmal erwähnen. Jedenfalls hat sich die Nummer jetzt ganz offensichtlich verselbstständigt.

Eine Stunde später in der Arbeit. Tatort Kaffeemaschine. Die Kollegin ohne Arsch kommt um die Ecke. Die, die schwanger ist. Und ich denke und sage: „Die Platte, die du hintenrum hast, bildet einen irrwitzigen Kontrast zu deinem Schwangerschaftsbauch.“ Ich merke wie die Worte auf dem Betonboden hallen. Wie ein Tennisball, den man versucht einzufangen, der einem aber immer wieder durch die Finger glitscht. Wie ein Bumerang, der zehntausendfach zurückgeschleudert wird. In meine Fresse. Und sie schaut mich an. Und ich schaue sie an. Und sie schaut weiter. Und schaut. Und starrt. Und dann dreht sie sich um und ihre Absätze knallen vorwurfsvoll über die Glätte des Bodens.  

Den Rest des Tages verbringe ich mit Kopfhörern in einem Raum, der sich Bibliothek nennt, der aber im eigentlichen Sinne gar keine Bibliothek ist. Obwohl, nicht ganz. Ich habe das Meeting vergessen. 30 Mann. Das ist eine Ansage. Der eingeladene Coach hat eine Chino an und anscheinend keine Unterwäsche. Denn ich kann nicht nur erkennen, dass er Linksträger ist, sondern seine Geschlechtsteile drücken sich wirklich sehr detailreich durch den Stoff. Man kann alles erkennen. In einem flüchtigen Blick. Und ich habe den Gedanken noch nicht mal zu Ende gedacht, da sage ich schon: „Du bist offensichtlich...“ 30 Fratzen drehen sich zu mir um und blicken mich mit einer Mischung aus Interesse und Langeweile an. Ein Meer aus gehobenen Augenbrauen. Ich presse mir die Hände vor den Mund, als wäre ich kurz vor einem schwallartigen Kotzanfall und renne aus dem Raum.

Wenn das so weitergeht, bin ich bald arbeitslos. Die Situation mit Maria und Marie ist ja derzeit sowieso angespannt und wenn ich weiter auf diesem Trip bleibe, wird sich daran so schnell vermutlich auch nichts ändern. Wahrscheinlich kehrt mir dann auch noch meine Familie den Rücken. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die das so supergeil finden, wenn ich denen jedes Mal, wenn wir uns sehen, sage, dass sie zu dick, zu picklig, zu faltig, zu haarig, zu großnasig oder irgendwas Anderes zu sehr sind. Vermutlich werde ich am Ende des Tages wie ein Wolf mit zerklüftetem Fell einsam durch die Straßen ziehen. Und vermutlich werden die Leute dann die Seite wechseln, sobald ich ihnen sage, dass sie mit ihrer Hose ihre aparten Geschlechtsteile leider in einen Kamelfuß verwandelt haben.

Ich sitze in der S-Bahn. Zwischen einer weinrot melierten Mütze und einer grillfeurig riechenden Jacke. Und mir schräg gegenüber sitzt ein Mann. Der Kerl trifft genau meinen Typ, wenn ich einen hätte. Er sieht irgendwie verwegen aus, hat hohe Wangenknochen, beginnende Geheimratsecken und an interessanten Stellen Muttermale. Eine Armada von Sommersprossen kriecht über seine sehnigen Unterarme. Bevor ich auch nur eines dieser Dinge laut aussprechen kann, kommt ein Kontrolleur um die Ecke. Und ein zweiter, von der anderen Seite. Ich habe eine Fahrkarte, ich krame danach. Ich halte sie ihm hin. Es ist ein Studententicket. Mein Studium habe ich vor drei Jahren beendet. Ich habe die Fahrkartenverlängerung gefälscht. Seit drei Jahren. Ich strecke sie ihm hin und an dem entgeisterten Blick, den mir der Kontrolleur zuwirft, merke ich, dass ich die letzten beiden Sätze nicht nur gedacht habe. Er sagt: „Ok, das ist nicht nur Schwarzfahren, das gibt auch eine Anzeige. Wegen Urkundenfälschung.“ Und dann setzt er an zu einer großen, langen Belehrungsrede. Ich versuche an gar nichts mehr zu denken, um gar nichts mehr zu sagen. Wie eine rote Welle kriecht mir dann doch ein Satz durch die Glieder und platzt an den Lippen aus meinem Körper heraus und das auch noch einigermaßen laut: „Halt endlich deine Scheiß-Fresse, du Arschloch!“. Der Verwegene reißt seine Augen auf. Der Kontrolleur packt mich am Ellenbogen und zieht mich vom Sitz und dann aus der S-Bahn. Dabei berührt mich jemand am Bein.

Das Badewasser weicht meine Haut auf. Meine Hände gleichen denen einer Hundertjährigen. Ich rubble mich trocken und beim Anziehen fällt mir ein Stück Papier aus der Jeans. Darauf steht eine Handynummer. Die ich anrufe. Mr. Verwegen ist dran. Er lädt mich zum Essen ein. Zu sich nach Hause. Ich weiß, sowas ist risky, man sollte sich mit crazy people aus der S-Bahn nicht einfach in deren Wohnung treffen. Aber ich mach’s trotzdem. Er hat lila besprühte Geweihe an einer grünen Wand hängen. Doch nicht so schlimm. Er hat aber gar nicht gekocht, sondern Pizza und Pasta bestellt. Weil er sich nicht sicher war, ob ich eher ein Nudel-Jünger oder Pizza-Anhänger bin. Ich bin beides. Jünger und Anhänger. Wir essen. Danach bin ich satt und zufrieden und kugelrund und in meinem Mund ist ein leckerer Nachgeschmack von Thymian und unter der flirrigen Sonne Italiens getrockneten Tomaten. Und dann muss ich an einen Film denken, an die Stelle, an der die Frau zu ihrem Nachbarn sagt: „Wollen wir die Hauptspeise auslassen? Ich vögel nicht gerne mit vollem Magen.“ Bei mir ist das Gegenteil der Fall. Nach Pizza und Pasta fehlt nur noch ein (Pause), denke ich mir. Und sage: „Nach Pizza und Pasta fehlt nur noch ein Penis.“ Der Typ lacht ein kehliges Lachen, dann sagt er: „Deine Ehrlichkeit ist entwaffnend.“ Er zieht mich hoch. Und dann aus. Das Leben ohne Umwege hat anscheinend auch seine guten Seiten.