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Geburtsjahr: 1963
in München
„Else, ich trage dich immer zwischen meinen Zähnen – Else, wir sind alle Else“: Cora Frost, Gary Schmalzl, Jakob Dobers, Florian Loycke und Peter von Theben. Elsenwerkstatt 2022. © Benno Kraehahn
Namensvarianten: Der Cora Frost, Peter Frost, Pierre Lumiere, Rudy van Dongen (Pseud.)

Cora Frost

In einem Selbstporträt schreibt Cora Frost: „Geboren in München, rechts der Isar, ging ich regelmäßig in die Kirche, bekam Unterricht, sah die vielen Kreuze und verstand sie nicht. Folterszenen sind besonders für Kinder hässlich. [...] Mein Urgroßvater war katholischer Priester. [...] Meine Urgroßmutter war winzig klein, trug aber riesige Hüte und galt als extrovertiert. Noch die nächste Generation musste die Schulden für die Hüte abbezahlen.“

Cora Frost tanzt als Jugendlicher exzessiv, er will als Mann tanzen. Dieses Körpergefühl haben die Kraft, die Sprünge. Zudem will er nicht reden, in der Kindheit erst als Unsichtbarmachung, zum Verschwinden in unguten Verhältnissen. Später wegen seiner hohen Stimme. Pantomime als künstlerischer Ausdruck überzeugt ihn nicht, daher will er Clown werden und zur Scuola Dimitri gehen. Das Projekt misslingt. Durch das Scheitern dieses einzigen großen Wunschplanes seines Lebens, durch jene Erziehungsmaßnahmen, wirft sich Frost in eine Gegenwelt, um das Leben besser zu begreifen. Nun von seinem Standort München aus. Mit 18 Jahren geht er ins Nacht-Geschäft und arbeitet in Stripteasecabarets, u.a. im Intermezzo in der Maximilianstraße, auch um sich einen Frauenkörper zu ertanzen, der ihm selber fremd ist. Durch die Wahrnehmung als Frau von außen, und um zu verstehen, was das bedeutet, da es ihm selber von sich aus nicht möglich ist. Er entdeckt Geschwister im Geiste, u.a. Anita Berber und den Butohtanz. Eine Heimat findet er im Münchner Cabaret Broadway, einem theatralen Travestieclub, wo er erste Musikshows veranstaltet: „Wir haben die Gesellschaft verachtet. Auch Kunst fanden wir so bürgerlich.“

Er lebt eine Zeitlang über dem Tanzlokal Größenwahn in der Klenzestraße und beginnt ein Studium der Musikwissenschaften und Philosophie an der LMU, ist aber enttäuscht von der Institution als Fortsetzung der Schule. In jenen Jahren bezeichnet er sich als bisexuell, später als pansexuell, strippt im Vorprogramm von Georgette Dee, durch Vermittlung von Marianne Sägebrecht. Schreibt Texte und Performances, spielt in Filmen und an Theatern und tanzt bei Johann Kresnik eine Solorolle im Marstalltheater. Er gründet eine Band und zeigt in ganz Deutschland Musikperformances, bereist auch das Ausland als Tänzer/in und mit seinen Musikprogrammen.

„München ist für mich so eine Art von Amme. Ich bin hier geboren, ich bin hier groß geworden [...] Aber ich habe hier keinen Platz gefunden. Ich spreche kein Bayrisch. Ich bin nicht polar. Bayern ist wie Punk auch anarchistisch, aber immer polar.“ Cora Frost besitzt keine eindeutige Geschlechtsidentität, er/sie sagt, er liebe alle und alles und das Ziel wäre einfach als Mensch zu leben und wahrgenommen zu werden, aber nicht durch Geschlechterrollen, mit denen er lustvoll spielt, u.a. um in neuen queeren Formen zu erscheinen und Klischees aufzubrechen.

Als Sänger/in mit eigenen Liedern tritt Cora Frost erstmals 1981 auf. Bei der Etablissement-Chefin „Dougi“ des Cabaret Broadway in der Schillerstraße tritt er regelmäßig auf. Susan Aviles (die später sagt, sie würde sich gerne als Freddie Mercury materialisieren), Marianne Sägebrecht und Johann Kresnik fördern Cora Frost. Inspiration für den Nachnamen „Frost“ ist 1978 der Song Wuthering Heights von Kate Bush („Heathcliff, it's me, I'm Cathy, I've come home, I'm so cold“). Bis mindestens 1989 firmiert er noch mit bürgerlichem Namen, später als Cora Frost oder Peter Frost. In der Bayerischen Staatsbibliothek befinden sich Notenblätter von ihm. Im Theaterprogramm der Süddeutschen Zeitung wird er am 8. Mai 1987 angekündigt: „N*halle – Cora Frost und Musen: ‚Ich bin 'ur ei'n arm'er Wand'rer'gsell‘. Oder am 13. Februar 1989 kündigt die Süddeutsche Zeitung an: „Kaffee Giesing – Cora -Frost – Macho-Abend.“ Der Sänger/in führt dabei geschlechterrollen-verwirrend durch ein reiches Repertoire von Liebesthemen und anschließenden Sexualproblematiken und zeigt sich hier zum ersten Mal in einer eher männlich konnotierten Bühnenfigur. Weiter schreibt er seine ersten Theaterabende, „Heilige Lotte hilf“, ein Kurt-Weill-Abend (für das moderne Theater München), und „Weil wir böse böse böse sind – Die Räuberinnen“, was für Frost verstörenderweise auch von nahestehenden, männlichen Kollegen als Frauentheater verunglimpft wird. „Ein Genre, das es heute gar nicht mehr gibt“, so Frost.

V.l.n.r.: „Ich heirate mich selbst“, queere Tanzperformance Anfang der 1980er-Jahre in der N*Halle in Schwabing. Cora deklamiert erste Gedichte u.a. „Himmelblauer Prinz“ und „Wir sind die kleinen Burschen“. © Daniel Blauenstein // „Ankunft in Berlin“, bei Ullmann in der Küche, ca. 1994. Cora lebte lange in der Graefstraße. Die Küche dort war ihr Lieblingsort. Das Foto entstand nach einem Shooting in der U-Bahn. © Michael Bindner // Peter tanzt in den Sophiensälen Berlin, 2016: Konzert von Peter Frost & Size 45 / Love Me – „How Wolves Can Change Rivers“. © Jackie Baier 

Mehrere Veranstalter veröffentlichen in jenen Jahren folgende Vita:

Von 1981 bis 1988 arbeitet Cora Frost als Tänzerin, Herrendarsteller, Performerin und Autorin. Während dieser Zeit, bewegt sie sich zwischen Nightclubs und Nationaltheater, inszeniert eigenwillig-schräge Shows in Turnhallen und Nachtclubs und bringt in einer rauschhaften Welle von Tanz- und Improvisationsshow, zusammen mit dem Regisseur Thomas Hermanns, den Karaokegesang von New York nach Deutschland („Thommy Garden's sing along, featuring Ute Laune“, 1989). Nachdem sie sich fast ausschließlich ihrer großen Liebe, der Musik verschrieben hat, führen sie ihre Liederabende bundesweit auf Tournee und weltweit auf Gastspielreisen u.a. mit Chico César nach Sao Paulo, ins Opernhaus von Manaus (Brasilien), nach Paris, Amsterdam, sowie mit Tim Fischer im Duette-Abend „Niemand liebt dich so wie ich“ durch Syrien, Ägypten und Sudan, als Tänzerin durch Florida, nach Chicago und New York. Sie schrieb Liedtexte für das Stadttheater Aachen, Georgette Dee, Tim Fischer, Sven Ratzke u.a.

Cora Frost lebt seit 1993 überwiegend in Berlin, ist aber auch immer wieder an der Isar. 1996 erhält er den Deutschen Kleinkunstpreis und ein Jahr später den Kritikerpreis der Berliner Zeitung in der Sparte Chanson. 1998 veröffentlicht er das autobiografische Buch Mein Körper ist ein Hotel bei dtv, das auch Passagen über München enthält. Im selben Jahr spielt Frost die Rolle der Louise in Rudolf Thomes Film Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan und erhält dafür mit anderen den Silbernen Bären der Berlinale. 1999 erscheint der Dokumentarfilm von Nathalie Hartmann L'amour fou – In der Welt der Cora Frost (47 Minuten). Auf Lespress.de schreibt Franziska Zackaj 1999 anlässlich der Vorführung im Rahmen des „Rosa Salons“ im Neuen Arena Kino: „Längst schon ist Cora Frost der fragwürdigen Kleinkunstkategorie ‚Geheimtip‘ entwachsen und steuert mehr und mehr einer Mythenbildung entgegen – einem Mythos, den Fans nur allzu gerne enträtseln, kennenlernen, verstehen wollen [...] Wer ist Cora Frost? Was macht ihre Faszination aus? Wie lebt sie, was denkt sie, welche Botschaft möchte sie ihrem Publikum mitteilen? Oder ein wenig profaner: ‚Ist sie nun Lesbe... oder ist sie's nicht?‘“ All diesen Fragen gehe der Film nach, so Zackaj. Das kommentiert Frost 2022: „Es ging nie um meine Arbeit, das Schreiben, die Texte, die Held*innen meiner Lieder, sondern immer nur darum: Was hat sie wieder an? Es geht ums Geschlecht und um erotisch ja oder nein. Es ging nie um meine Abende an sich, um das, was ich zu sagen hatte. Das finde ich bis heute gelinde gesagt verstörend.“

Im Jahr 2000 wirkt Cora Frost beim halbdokumentarischen Film Escape to Life – Die Erika und Klaus Mann Story in der Rolle der Erika Mann mit. 2004 erhält er das Stipendium der „Stiftung Kunst:Raum Sylt Quelle“. Im selben Jahr strahlt Bayern-2-Radio die Sendung Cora Frost – Brennende Lieder: Porträt einer androgynen Diva aus. Herausgeber Frank T. Zumbach nimmt 2004 Cora Frosts „Ballade der homosexuellen, kleinwüchsigen Krankenschwester Paula Maus, die ein gar schreckliches Ende nahm“ in seine Anthologie Das Balladenbuch – Deutsche Balladen von den Anfängen bis zur Gegenwart (Artemis & Winkler) auf. Zum Programm „Nexte Lied“ schreibt die Berliner Zeitung 2001: „So genau treffen diese Andeutungen und so brillant führt Cora Frost hier ihre umfangreiche Stimme vor, die sich von der dunkel raunenden Diseusen-Tonlage aufschwingt bis in opernhafte Höhen, die schmerzt wie ein Peitschenschlag in ihrer eisigen Kühle und gefühlvoll sein kann ganz ohne routiniert behauptetes Sentiment, die keine Silbe verschluckt, ohne je vom Durchleben ins Rezitieren der verhakelten, surrealistischen Texte zu verfallen. Cora Frost hat, neben dem schönsten Augenaufschlag seit Marlene Dietrich, auch noch diese unverwechselbare Art, zwar nicht atemlos, aber doch wie in kleinen Schlucken zu singen – als stockte der Ton in der Kehle. Erst damit entwickelt sich der wirkungsvolle Schrecken launig daherkommender Lieder“.

Seit 2005 arbeitet Cora Frost auch als Hörspiel- und Theaterregisseurin in Berlin (u.a. im Ballhaus Ost, den Sophiensälen, im Gropiusbau, an der Schaubühne und in der Bar jeder Vernunft). Es entstehen Stücke wie Palast der Liebe und Die Bucht der dicken Kinder und Nur für eine Nacht – ein Abend über Odessa mit der obdachlosen Theatergruppe Die Ratten. Zudem arbeitet Cora Frost in Bremen (im Jungen Theater Bremen), Oldenburg (Staatstheater), Graz (Schauspielhaus) sowie in Zürich, Bern und Basel und meist mit eigenen Stücken. Cora Frost arbeitet oft auch mit Laiendarstellern und organisiert u.a. Performances in Reisebussen. Im Theater Aachen präsentiert Frost als Regisseurin 2006 Rainer Werner Fassbinders Angst essen Seele auf in einer Neuinszenierung sowie das eigene Stück: Familie Kranichs Schautheater über eine Zeit, in der Theaterspielen verboten ist und als Akt der Anarchie von Familie Kranich in einem leerstehenden Theater praktiziert wird. Frost bringt einige Liederperformanceabende heraus mit eigenen Werken, gründet Bands und Theatergruppen oder spielt mit dem anarchistischen Puppentheater Das Helmi und schreibt weiterhin eigene Theaterstücke und führt Regie. Als Einflüsse nennt Cora Frost spontan u.a. Hubert Fichte, Wladimir Wyssozki, Melitta Poppe, Abdel Halim Hafez, Georgette Dee, Marianne Sägebrecht, Hans Brenner, Rainer Werner Fassbinder, Marguerite Duras, Bruce Chatwin, Jack Kerouac, Federico Fellini oder Serge Gainsbourg, Abie Nathan.

V.l.n.r.: „The Pope“: Fotoshooting am Ostkreuz 2019 für „Berlin is not Bayreuth, ein Wagner-Festival“, veranstaltet von glanz&krawall. © Peter van Heesen / Ralf Stiebing // „Tanz für Walter Ladengast“ im Dachboden der Getreidescheune Bröllin während der Künstlerresidenz für das Stück Sogar dein Tod war ein Geschenk. Ein Ritual für den Freund Walter Ladengast, 2021. © Peter van Heesen // „Else, ich trage dich immer zwischen meinen Zähnen – Else, wir sind alle Else“: Cora Frost, Gary Schmalzl, Jakob Dobers, Florian Loycke und Peter von Theben. Elsenwerkstatt 2022. © Benno Kraehahn  

Cora Frost wird in Berlin 2013 zur Kotti Queen gewählt. 2014 schreibt er das Schlusslied für den Film Von jetzt an kein Zurück von Christian Frosch und übernimmt dort die Rolle einer Klosterschwester. Er tritt u.a. auch als Peter Frost im Fernsehen auf, u.a. 2017 im ZDF in der „aspekte Berlinale Talkshow“. Im selben Jahr lanciert sie das Festival The Future is F*e*m*al*e* in den Sophiensälen in Berlin und bereits davor das Festival Männer in Garagen. Inzwischen bezeichnet er sich als „Performancekünstler, Sänger/in, Autor“. 2021 stellt er/sie sich in einem Dokumentarfilm der Monacensia mit den Worten vor: „Ich bin der Cora Frost. Ich lebe zurzeit als ‚non binary‘ Zwischenwesen in Berlin“. Dem Magazin Der Spiegel sagt Cora Frost 2021: „Ob ich feministisches Theater mache oder nicht, das interessiert mich nicht, weil dann kommen die Begriffsleute. Feminismus verbindet sich immer mehr mit Lust, bis er sich hoffentlich irgendwann auflöst. Die Botschaft, die ich allen zurufen möchte, wenn der Feminismus Vergangenheit geworden ist: dass alle in einem gemeinsamen Raum ein Zuhause finden. Das ist das ganz große Ziel. Dieses große utopische Zusammen.“

Seit einigen Jahren arbeitet Cora Frost mit der Performancegruppe Gintersdorfer Klassen, der Gruppe La Fleur und mit der Musikgruppe Glanz & Krawall sowie der La Boheme Supergroup, dem Theater Thikwa Berlin und Hora in Zürich, oft in Männerrollen, u.a. als Papst oder mit seinem Alter Ego Peter Frost. Für den Film Anima – Die Kleider meines Vaters (2021) liefert Cora Frost Lieder und tritt als Wahrsagerin und Sängerin in einer Animationsszene auf. In einem Filmbeitrag des RBB heißt es 2021 anlässlich einer Performance in Erinnerung an den Schauspieler und Fotografen Walter Ladengast: „Cora Frost ist mittlerweile so etwas wie eine Eminenz der freien Szene. Auf der Bühne lässt er den Freund aus der Kindheit, Walter Ladengast, lebendig werden.“ Zögerlich gehen die Medien auf den Identitätswechsel ein. Am 13. Dezember 2021 schreibt die Süddeutsche Zeitung: „Cora Frost prägte das München der Achtzigerjahre durch Auftritte in Clubs und Bars. Die Chansonette war schon queer, als der Begriff hierzulande noch unbekannt war“. Die Begriffe sind in Bewegung: Als „Chansonette“ sieht sich Cora Frost schon lange nicht mehr.

Verfasst von: Nicola Bardola / Bayerische Staatsbibliothek


Externe Links:

Zur Autorenhomepage

Literatur von Cora Frost im BVB

Literatur über Cora Frost im BVB

Cora Frost in der Wikipedia