Ein paar Stunden Alltag

Auch wenn er nicht geduscht war, auch am Morgen: Sevi roch gut. An allen Körperstellen, selbst aus dem Mund. Dienstag früh. Nachdem er die Espressokanne auf den Herd gestellt hatte, legte er sich noch mal zu Bart, drückte sich an ihn, bis der Kaffee blubberte. Dann stand er auf und brachte ihm eine Tasse ans Bett.
   „Spül bloß nicht das Geschirr“, sagte er in der Wohnungstür, „respektiere meinen Willen.“
   Noch immer standen die Tellergebirge vom Sonntagsessen herum.
   Das Abspülen dauerte zwei Stunden. Währenddessen hörte Bart alle möglichen Schnulzensender, Radio Hit FM, Radio Ö-Sowieso. Er hatte Lust, so simpel zu sein wie möglich, das Banalste war ihm gerade recht. Die Finsternisse der Nacht waren verflogen. Er hörte auch noch die gesamte fünfte Symphonie von Mahler, die Art Musik, von der ein knapper Meter im CD-Regal stand, räumte Sevis Kleider in den Schrank, sah sich zwischendurch Fotos von ihm an. Er lächelte über die merkwürdigen österreichischen Worte, die er Sevi hatte benutzen hören, Kasten für Schrank, Duchent für Bettdecke, Mistsackl für Müllbeutel, und freute sich auf den Moment, wenn er von der Arbeit nachhause kommen würde. Es war gut gewesen, sich die Hindernisse bewusst zu machen, die seiner Beziehung zu Sevi im Weg standen. Da habe ich durchgemusst, dachte er, und er auch. Jetzt kann alles gut werden.
   Kein Stuhlgang, schon seit zwei Tagen. Merkwürdig, sonst hatte er nie Probleme damit. Und zwar seit er in Sevis Wohnung war. Was bedeutete das? Ich ergebe mich der reinen Faktizität und suche nicht nach Erklärungen. Ich stelle mich der Dinglichkeit und bin selbst nichts als ein Ding. Ich bin guten Willens und gebe jeden Widerstand auf; mit keiner Faser sperre ich mich gegen die Welt der Tatsachen, sondern setze mich davor und schaue sie an. Sonst nichts. Auch mich selbst. Auch wenn es ein ungeschissener Scheißhaufen ist.
   Als er mit Abspülen fertig war, legte er sich quer über die Matratzen auf dem Boden und las in irgendeinem Architekturlehrbuch, das er aus Sevis Regal gezogen hatte. Sevi rief auf dem Festnetz an und fragte, was er zum Essen mitbringen solle. Kurz darauf erschien er mit Baguette und Käse. Es war ihr Alltag. Ein schöner, freundlicher Alltag, ein paar Stunden lang am dritten Tag. Beide waren sie hundemüde. Sie ließen die Rollläden herunter, aber aus dem Mittagsschlaf wurde nichts. Sie waren furchtbar geil aufeinander. Bart war grob zu Sevi, etwas in Sevi, so kam ihm vor, sehnte sich nach Erlösung durch Derbheit und Dirtyness. Er krallte ihm die Hand in die Arschbacke und drückte fest zu, mit der anderen Hand drehte er ihm hart den Kopf zur Seite, presste ihm den Handballen in den Mund. Vielleicht sehne ich mich selbst nach so was, dachte er. Ich lasse mich ja auch nicht ficken, obwohl ich manchmal Lust dazu hätte; er hat auf dem einen Gebiet Schwierigkeiten mit der Hingabe, ich auf einem anderen. Als Sevi kam, wusste Bart, dass er das letzte bisschen Form aufgeben hatte. Auch er selbst hatte jede Beherrschung abgestreift.
   „Viel von Wien habe ich ja nicht gesehen“, meinte er, als er mit dem Kopf zwischen Sevis Beinen lag. „Aber das ist sicher der schönste Anblick, den Wien zu bieten hat. Der Turm da gefällt mir am besten.“
   So riesig war Sevis Schwanz gar nicht, er war nur in schlaffem Zustand fast genauso groß wie erigiert. Wenn er nackt telefonierte und Bart den Rücken zuwandte, hing sein Ding weit über die Hoden herunter und wurde zwischen den Beinen sichtbar. Sie umarmten sich umgekehrt, indem sie statt des Oberkörpers die Oberschenkel des anderen umklammerten.
   „Scheiße, wird das eine Hinundherfahrerei“, seufzte Bart.
   Um sechs waren sie mit Christoph verabredet, den Bart in der fremden Stadt nicht ganz allein lassen wollte.
   Es könne doch nicht so schwierig sein, die Differenzen in einer Beziehung mit Anstand beizulegen, meinte Sevi, als sie miteinander unter der Dusche standen. Ob sie das nicht schaffen würden?
   Schon merkwürdig, zu was für Hakeleien man sich manchmal hinreißen lasse und was für absurde Unerbittlichkeiten da aus einem herauskämen, philosophierte Bart. Der Punkt sei, dass sich in einer Beziehung sehr bald herausstelle, wer der Stärkere sei. Dass es sich nicht sofort herausstelle, habe nur mit der Verliebtheit der Beteiligten zu tun. Und dann beginne der Schwächere gegen den Stärkeren aufzubegehren, versuche ihn zu verletzten, während der Stärkere einen gewissen Sadismus entwickle, und gemeinsam verstricke man sich in diese seltsame Gefühlsmischung aus Vehemenz und Verunsicherung, die einen um den Verstand bringe und zum Mord fähig mache. Er, Bart, habe es selbst erlebt, und zwar in der Position des Schwächeren, und habe sich manchmal nicht wiedererkannt. Wo ist sie dann hin, die Großzügigkeit, die Toleranz, die Freude und Liebe, die man dem anderen geben wolle? Nur noch kleinlich, engherzig und dumm sei man auf einmal.
   Sevi sah Bart an, das Wasser tropfte ihm vom Gesicht und aus den langen Haaren, die im nassen Zustand pechschwarz waren. „Und wer ist der Stärkere bei uns beiden?“
   Bart lächelte sehr sanft. „Ich weiß es nicht. Aber wenn ich es wäre, wäre das schlimm?“
   Sevi schaute, dann lächelte er genauso sanft zurück. „Dann müsstest du aber auf mich aufpassen.“
   „Ja. Das würde ich dann tun.“
   Sevi nahm das Handtuch. „Ich hab ja noch keine Beziehung gehabt“, meinte er, während er sich abtrocknete. „Jedenfalls keine, in der ich wirklich geliebt habe. Ich weiß nicht, wie das geht. Ich werde mir Mühe geben, mehr kann ich nicht sagen. Ich werde mir Mühe geben, ein guter Partner zu sein. Respekt ist das Wichtigste, Achtung davor, dass der andere anders ist, glaubst du nicht?“