Hans Christian Andersen über München III

Unter  den  Alpen,  wo  der  Hopfen  sich  über  die Hochebene rankt, liegt Germaniens Athen. Hier ist das Leben billig, hier sind viele Kunstschätze zu sehen, und ich habe hier viele liebenswürdige Menschen gefunden, die mir teuer geworden sind; dennoch möchte ich nicht hier leben, wo die Kälte stärker ist als in Dänemark. Die kalten Winde von den Alpen streichen eisig kalt über das hochgelegene Bayernland, und die Alpen selbst locken wie der Berg der Venus: „dorthin! dorthin!“ singen sie. Hinter diesen dunkelblauen, kühnen Bergen liegt Italien. Jede Stadt, von dem ewigen Rom bis zu unserm grabesstillen Soroe, hat ihren eigentümlichen Charakter, mit dem man vertraut werden, ja gleichsam verwachsen kann; aber München hat von allen Städten etwas, man weiß nicht recht, ob man im Süden oder im Norden ist; ich wenigstens wurde hier von einer Unruhe, einer Lust, von dannen zu ziehen, erfüllt ... Alles schien mir hier im Widerspruch: Katholizismus und Protestantismus, griechische Kunst und bayerisches Bier.

Hans Christian Andersen, Eines Dichters Bazar, 1840 (Zit. aus: Hans Christian Andersen: Eines Dichters Bazar I. In: Anton Mayer-Pfannholz: Deutsches Alpenland. Ein Heimatbuch. Leipzig 1937, S. 196f.)

 

Hans Christian Andersen (1805-1875), dänischer Dichter; Aufenthalt in München: 1834

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek