Max Frisch über München III

Hanna war noch Schülerin, ein Mädchen mit Kniestrümpfen. Sie traf ihn regelmäßig im Englischen Garten, wo er stets auf der gleichen Bank saß, und führte ihn dann durch München. Er liebte München. Er war alt, nach ihren damaligen Begriffen, sogar uralt: zwischen fünfzig und sechzig. Sie hatten immer nur wenig Zeit, je Dienstag und Freitag, wenn Hanna ihre Geigenstunde hatte, und sie trafen sich bei jedem Wetter, sie führte ihn und zeigte ihm die Schaufenster. Armin war vollkommen blind, aber er konnte sich alles vorstellen, wenn man es ihm sagte. Hanna sagt: es war einfach wunderbar, mit ihm durch die Welt zu gehen.

Max Frisch, Homo Faber, 1957 (Zit. aus: Max Frisch: Homo Faber. Frankfurt a. Main 1957, S. 228)

 

Max Frisch (1911-1991), Schweizer Architekt und Schriftsteller; Aufenthalt in München: 1946

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek