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Katharina Geismüller

... München, 4. August 1971

Katharina Geismüller deckte liebevoll den Tisch. Mit dem guten Service, den Kristallgläsern, den glattpolierten Messerbänkchen. Sieben Jahre war sie mit ihrem Onuphrius verheiratet. Einem guten Mann. Hatte sich hinaufgearbeitet zum Kassierer bei der Deutschen Bank. Stattlich sah er aus, wenn er in blauem Anzug und weißem Hemd, das sie ihm jeden Abend frisch gebügelt hinlegte, zur Arbeit ging.

Sieben Uhr. Katharina schlüpfte in ihre neue Trevirabluse und toupierte ihr Haar. Gleich musste er kommen. Die Türglocke schrillte.

„Frau Geismüller, sie tun mir ja so leid!“, stammelte die Nachbarin.

„Warum denn?“

„Haben Sie es nicht gehört? Schrecklich ist es! Einfach schrecklich! Ihr armer Mann!“

„Jetzt reden´s schon!“

„Einen Überfall auf die Deutsche Bank hat es gegeben. Heute Nachmittag. Ganz einen Schlimmen! Mit Geiseln!“

Katharina sackte auf den Stuhl.

„Im Fernsehen bringen sie´s“, heulte die Nachbarin.

Mit zittrigen Fingern drückte Katharina den Knopf fürs erste Programm.

„Die achtzehn Geiseln befinden sich noch immer in der Hand der Bankräuber“, berichtete ein Reporter mit belegter Stimme. „Die Polizei berät zur Stunde über die geforderten zwei Millionen Lösegeld. Ein Sondereinsatzkommando wird zusammengestellt. Die Scharfschützen üben zurzeit noch in der Kiesgrube.“

Katharina rang um Luft. Ihr Onuphrius! Eine Geisel! Sie sprang auf, der Stuhl krachte zu Boden. Sie riss ihre Handtasche vom Haken, schon war sie draußen. Rannte die Möhlstraße vor zur Prinzregentenstraße. Dort war kein Durchkommen mehr. Hunderte von Schaulustigen drängten hin zu dem Spektakel.

Mit den Ellbogen bahnte sie sich einen Weg, klatschte einem Dicken, der nicht weichen wollte, die Handtasche um die Ohren.

„Lass mich durch! Mein Mann ist drin!“

Mühsam kämpfte sie sich nach vorne, von hinten drängten immer mehr nach. Halb München war auf den Beinen. Ein Banküberfall mit Geiseln! Das hatte es noch nie gegeben. Die Polizei, völlig überfordert, schaffte es nicht, eine Absperrung zu errichten, verlor die Kontrolle über die schaulustige Masse. Gegenüber der Bank, aus dem nobligen Käfer, drang laute Musik. Sensationslüsterne pressten ihre Gesichter an die Scheiben. Zwischen Kaviarhäppchen und Schampus erregte Rufe.

„Ich hab ihn gesehen, den Verbrecher. Mit einer roten, spitzen Kapuze auf dem Kopf. Wie einer vom Ku-Klux-Klan.“

Endlich! Katharina stand ganz vorne, ein windiges Absperrband vor dem Bauch. Inzwischen war es Nacht geworden. Die Dunkelheit zerfetzt von Blaulichtern und Scheinwerfern der Fernsehsender. Vor der Bank, mit laufenden Motoren, das von den Räubern geforderte Fluchtfahrzeug. Ein blauer BMW. Die Scharfschützen, auf den Dächern postiert, waren bereit.

Zehn Uhr. Der Vollmond gleißte vom Himmel. Noch immer tat sich nichts. Ausgelassene Stimmung unter den Schaulustigen. Bierflaschen machten die Runde. Einige pressten ein mitgebrachtes Transistorradio ans Ohr. Hörten:

„Bei den mutmaßlichen Geiselnehmern handelt es sich um Dimitri Todorov und Georg Rammelmayer. Beide vorbestraft. Tausende von Schaulustigen behindern die Arbeit der Polizei." Gaben die Nachricht weiter an die Umstehenden.

Katharina schrie auf. Hinter der Glasscheibe erkannte sie ihren Onuphrius. Stocksteif stand er da. Der mit der roten Kapuze riss ihn weg vom Fenster. Katharina, die nie fromm gewesen, selten eine Kirche von innen gesehen, faltete voller Verzweiflung die Hände und flehte. „Lieber Gott, mach, dass meinem Onuphrius nichts passiert.“

„Onuphrio, Onuphrio“, schluchzte es neben ihr. Eine dralle Schwarzhaarige presste ein Taschentuch vor das tränenüberströmte Gesicht. Katharina, voller Mitgefühl, strich ihr sanft über den Arm. „Ist dein Mann auch da drinnen? Der heißt ja wie der Meinige.“

„Nicht sein Mann, sein Geliebter“, schluchzte es.

Katharina erstarrte. Taxierte das Weib. Den engen Rock, der sich über den fülligen Hintern spannte, den wogenden Busen, die Stöckelschuhe.

„Geliebter sagst? Wie schaut er denn aus?“

„So eine stattliche Mann. Immer in schöne blaue Anzug. Sein Sturmwind bei machen Liebe!“

Katharina schöpfte Hoffnung. Ein Sturmwind? Ihr Onuphri? Nie im Leben.

„Siehst ihn oft?“

„Nur kurz. Nach Arbeit. Immer müssen heim zu seine Frau.“

„Ja du alte Schlampe!“ Katharina verlor die Beherrschung. Wie Schuppen fiel es ihr von den Augen. Die Überstunden, dass er immer so müd war, wenn sie sich im Bett an ihn schmiegte. Wegen so einem Trampel.

„Du Matz, du Elendige!“, kreischte sie.

„Reden nicht so mit mir!“ Die dunklen Augen der Widersacherin funkelten.

„Heißen ich Margarita. Sein ich Dame aus Chile. Haben ich Nivea.“

„Was hast, du chilenischer Trampel, du chilenischer? Nivea? Niveau! Niveau heißt das. Und das hast du noch lange nicht.“

Katharina krallte sich ins Haar der Margarita, riss dicke Strähnen aus, hielt sie triumphierend in die Höhe. „Das hast davon!“

Der Faustschlag traf sie unerwartet. Ihre Nase blutete. Gekreisch, Geschrei, die Frauen wälzten sich am Boden. Die Umstehenden feuerten sie an. Ein Polizist riss die beiden auseinander. „Schämts euch gar nicht? In so einer ernsten Stund?“

Das brachte die Frauen zur Besinnung. Keuchend standen sie vor der Absperrung. Margaritas Haare zerfetzt, Katharinas Bluse zerrissen. Plötzliche Stille senkte sich über den Platz. Gebannt starrten alle hinüber zur Bank. Die Türe ging auf. Katharina und Margarita, ihren Zwist vergessend, vereint im Schmerz, klammerten sich aneinander. Ein Kassierer, verängstigt, mit letzter Willenskraft um Haltung bemüht, schleppte den mit zwei Millionen gefüllten Geldsack aus der Bank, legte ihn neben den BMW. Schlich wieder hinein in das Gebäude. Frenetischer Applaus der Zuschauer. Weiter warten, nichts passierte. Halb zwölf war es schon. Katharina erschöpft, zermürbt vom langen Stehen, schluchzte auf. Margarita wischte ihr die Tränen weg.

„Nicht weinen. Wenn kommen Onuphrio gesund aus die Bank, ich nicht mehr wiedersehen ihn.“

Jetzt konnte Katharina nicht mehr an sich halten. Weinte sie hinaus, die Enttäuschung, die Lügen, den Betrug.

Kurz vor Mitternacht. Sirenengeheul. Bürgermeister Steinkohl brauste herbei. Die Bankräuber wollten die Geiseln freilassen, im BMW fliehen. Forderten freie Fahrt. Die Scharfschützen, ihre MPS im Anschlag, lauerten. Hinter den Fenstern die angstvollen Gesichter der Festgehaltenen. Die Ersten kamen heraus. Dann der Onuphrius. Im grellen Scheinwerferlicht stand er da. Katharina, einem ersten Impuls folgend, wollte zu ihm stürzen. Hielt inne. Blickte zu Margarita. „Kannst ihn haben. Den will ich nicht mehr.“ Dann ging sie davon.


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Verfasst von: © Bhavya Heubisch, 2012