https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbplaces/blank.jpg

Augsburg, Rathaus und Perlachturm

Eigentlich soll Anfang des 17. Jahrhunderts das Augsburger Rathaus aus dem 14. Jahrhundert nur ein wenig umgebaut, den Erfordernissen angepasst werden. Doch der beauftragte Baumeister Elias Holl, eigentlich ein fähiger Mann, hat von Anfang an den Abriss des Gebäudes und einen Neubau im Sinn. Zur Durchsetzung seines Willens übernimmt er sogar die Aufstockung des Perlachturms.

Dieser Turm ist der Handlungsort von Brechts Artikel „Turmwacht“, sein erster offiziell veröffentlichter Text, der pünktlich zum Beginn des Ersten Weltkriegs im August 1914 in den Augsburger Neuesten Nachrichten erscheint. Da der Autor darin von seinen Erlebnissen auf dem Perlachturm, Ausschau nach feindlichen Flugzeugen haltend, berichtet, gehen heute viele davon aus, dass der junge Brecht 1914 tatsächlich auf dem Turm saß und ins Dunkel starrte. Jedoch kann man davon ausgehen, dass Brecht genau wie Holl ein wenig höher stapelte und die „Turmwacht“ allererst eine gute Geschichte erzählte. Dafür spricht nicht nur der unmissverständliche Aufruf zum Dienst am Vaterland – „Möchtet ihr nicht auch so Turmwacht halten fürs Vaterland?“ –, sondern auch die darin ebenfalls enthaltene Formulierung „wie ich mir aus einem Roman gemerkt habe“. Zudem fällt Brecht in den folgenden Jahren höchstens durch rhetorischen, nie aber durch praktischen Kriegsdienst auf. Vielmehr bewahrt ihn sein Vater jahrelang davor, erst 1918 wird er gemustert und einberufen, doch selbst dann muss er Augsburg nicht verlassen, da er als Militärkrankenwärter eingesetzt wird.

Auch das Augsburger Rathaus von Elias Holl nimmt eine wichtige Stelle in Bertolt Brechts Werk ein. Ein Prosa-Version des Dramas Der kaukasische Kreidekreis heißt Augsburger Kreidekreis, stammt aus dem Jahr 1940 und handelt von demselben salomonischen Urteil über zwei Mütter, die sich um ein Kind streiten und an einen Richter geraten, der durch bodenständige Gerechtigkeit überzeugt. An dem Tag, an dem die Verhandlung angesetzt ist, sind „die Hauptstadt und der Platz vor dem Rathaus schwarz von Menschen, die dem Prozess um das ‚Protestantenkind‘ beiwohnen wollen“. Auch im Augsburger Kreidekreis stehen die echte und reiche Mutter und jene Amme, die wahre Liebe für das Kind hegt. Und wie in Der kaukasische Kreidekreis, so gewinnt auch hier die nicht-leibliche Mutter, weil ihr das Leben des Kindes mehr bedeutet als ihr eigener Wille. Der Ort der Handlung:

Der Saal, in dem der Richter Dollinger verhandelte, war der sogenannte Goldene Saal. Er war berühmt als einziger Saal von dieser Größe in Deutschland, der keine Säulen hatte; die Decke war an Ketten im Dachfirst aufgehängt.

Der Goldene Saal zählt noch heute zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Augsburg, auch wenn die Decke nicht mehr am Gebälk vertäut ist: Bei der Bombardierung der Stadt im Februar 1944 brennt das Rathaus bis auf die Grundmauern nieder; erst in den 1980er Jahren wird es gründlich restauriert.

 

Zurück zur Karte