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Gedenktafel an dem Haus Bleichstraße 2 (c) Literaturportal Bayern

Augsburg, Bleichstraße 2

Mitte September des Jahres 1900 zieht die mittlerweile vierköpfige Familie Brecht in die Klaucke-Vorstadt in Augsburg, deren Name auf den Juwelier Johann Gottlieb Klaucke zurückgeht, der hundert Jahre zuvor mehrere Waisenhäuser stiftete. Auch der Name „Bleich“ wird zur Bezeichnung des Viertels oft gebraucht, da hier die Lechkanäle verlaufen, in denen die Weber ihre Stoffe spülten, die anschließend zum Bleichen auf den Wiesen ausgebreitet wurden.

Der Umzug der Familie ist beruflich begründet: Brechts Vater arbeitet in der Haindlschen Papierfabrik, deren Inhaber um die soziale Sicherung seiner Arbeiter bemüht ist und deshalb nicht nur eine Krankenkasse ins Leben ruft, sondern auch Werkswohnungen errichten lässt. In mehrere solcher Werkswohnungen zieht Berthold Friedrich Brecht mit seiner Frau und den Söhnen Eugen und Walter, da er zum Stiftungsverwalter und am 1. Januar 1901 zudem zum Prokuristen ernannt wird. Die Familie bewohnt zwei große Wohnungen im ersten und zweiten Stock des Hauses. In die Dachkammer, in der anfangs das Personal untergebracht ist, zieht Eugen 1910, als die Krankheit seiner Mutter die Anwesenheit einer Pflegerin erforderlich macht.

Die Bleichstraße, das Haus Nummer 2 und ein Blick auf den nahe gelegenen Lech (c) Literaturportal Bayern

In der Bleichstraße und deren Umgebung verbringt der angehende Dichter seine Kindheit und Jugend. Auch während des Studiums in München kehrt Bertolt Brecht beinahe jedes Wochenende in die Augsburger Dachkammer zurück, die er als Bohème-Refugium eines Dichters einrichtet; berühmt geworden ist die Baal-Zeichnung seines Freundes Caspar Neher, die den Protagonisten von Brechts gleichnamigem Drama porträtiert und viele Jahre die Wand gegenüber dem Bett ziert. Einer der besten Freunde des jungen Eugen ist Georg Pflanzelt, der in der Klauckestraße wohnt und „George“ oder auch „Orge“ genannt wird – ihm widmet Brecht das Stück Baal, das er im Sommer 1918 niederschreibt. Die Clique vergrößert sich durch den Besuch des Gymnasiums, man macht zusammen Musik, dichtet in den nahe gelegenen Lechauen, zieht singend um die Häuser, inszeniert „ein ausgelassenes provozierendes Treiben“, wie es im Augsburger Stadtlexikon heißt. Ein Vers aus dem Gedicht Serenade beschreibt die nächtlichen Touren:

Jetzt wachen nur mehr Mond und Katz
Die Menschen alle schlafen schon
Da trottet übern Rathausplatz
Bert Brecht mit seinem Lampion.

Dass Brecht die gemeinsame künstlerische Produktion des Freundeskreises – zu dem neben Pflanzelt und Neher auch Otto Müllereisert, Hanns Otto Münsterer gehören – verschriftlicht und damit in den Status der Literatur erhebt, weist auf seine spätere Arbeitsweise voraus, die ebenfalls eine Reihe Ko-Autorinnen und Ko-Autoren kennt. Auch der musikalische Akzent vieler Dramen des Autors wurzelt in diesen frühen Jahren. Gleiches gilt für seine Aufmerksamkeit für den Arbeiter-Alltag, den er zu dieser Zeit, als Bewohner der „Haindl-Kolonie“, hautnah miterlebt.


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Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek