Der Netzroman aus Lesersicht: Autorin Sophie Stroux berichtet

Mit Unterstützung des Literaturportals Bayern schreibt der Münchener Schriftsteller und Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang einen interaktiven Roman – live im Netz auf netzroman.thomaslang.net. Interessierte User können den Entstehungsprozess des Buches nicht nur beobachten, sondern auch kommentieren und mitgestalten. Zudem sind zwei Schulklassen an dem Projekt beteiligt. Am 23. Juni 2017 wird im Künstlerhaus die große Abschlusslesung des Projekts stattfinden. Mit auf der Bühne steht hier auch Sophie Stroux, die den Netzroman bereits seit dem Beginn im September verfolgt. Die junge Autorin nahm 2012 an der Schreibwerkstatt des Literaturhauses München teil. 2014 wurde sie beim Internationalen Jungautorenwettbewerb ausgezeichnet, 2016 zum Treffen junger Autoren bei den Berliner Festspielen eingeladen. Ihre Texte sind in Druckfassung und teilweise auch online zugänglich, z.B. in ihrem literarischen Blog philosworte.wordpress.com.

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Ganz nah dran

Kurz nach Beginn des Projekts bin ich auf den Netzroman Der gefundene Tod aufmerksam geworden.

Beim ersten Besuch auf der Website war ich noch zögerlich, habe mehr gelesen als kommentiert. Ich führe selbst seit fast fünf Jahren einen literarischen Blog, auf dem ich eher unregelmäßig kleine Kommentare zu Schreibprozessen und Ideen poste, aber das sind vor allem fertige Projekte. Vom meinem Blog weiß ich, wie schwer es ist, konstruktive Kommentare im Netz auf die eigene kreative Arbeit zu bekommen. Aber beim Netzroman gab es von Anfang an etwa fünf User, die fast jeden Post kommentierten. Das ist für eine aktive Zahl von Usern recht hoch. Die meisten waren in ihren Vorstellungen zu den Charakteren sehr spezifisch, hatten sich in das Projekt eingefuchst und waren sich natürlich immer uneinig. Aber gerade das macht es für den Autor ja spannend.

Man selbst hat vielleicht zwei, drei verschiedene Perspektiven, die man einnehmen kann, um seine Charaktere zu betrachten. Jede weitere Sicht von außen, von Lesern und Usern, gibt dem Autor die Möglichkeit, die Charaktere noch einmal ganz anders zu sehen. Das macht die Charaktere nicht nur vielschichtiger, sondern vor allem authentischer.

Gleichzeitig ist das Projekt für mich als User auf ganz anderen Ebenen spannend. Ich bekomme Einblick in die Arbeitsweise eines etablierten Autors. Sehe, wie er seinen Plot, seine Charaktere aufbaut, kann ihm quasi bei seiner Arbeit über die Schulter gucken. Das ist ein Einblick, den man gerade beim Schreiben eher selten bekommt. Wenn Autoren Außenstehenden ihren Schreibprozess zeigen, dann meist in Form eines Schreibratgebers, einer autobiographischen Erzählung oder eines Tagebuchs.

Online sind diese Einblicke in Schreibprozesse generell häufiger zu finden. Zum Beispiel auf Plattformen wie Wattpad, Fanfiction oder Tumblr. Während auf Wattpad und Fanfiction primär Texte geposted werden und User ihr Like oder ihren Kommentar abgeben dürfen, wird auf Tumblr (neben vielen anderen Sparten und Facetten der Website) vor allem mit Autoren diskutiert und Inspiration gesucht und gefunden. Thomas Lang gibt den Einblick jedoch auf andere Weise, indem er nicht nur seine Recherche, sondern auch ganze Kapitel und Gedanken zum Schreibprozess online stellt. Die Kombination aus den drei Facetten ist das, was den Netzroman so spannend macht. Man erhält das Gefühl, ganz nah an der Entstehung eines Projekts zu sein und bekommt sogar die Möglichkeit geboten, dabei mitzuwirken.

Ich persönlich bin dabei, weil mich die Mitarbeit bei kreativen Projekten immer zu eigenen Texten inspiriert. Außerdem ist es eine spannende Möglichkeit, mit anderen Autoren in Kontakt zu treten. Gerade der Austausch beeinflusst das eigene Schreiben.

Spannend fände ich es, wenn man noch stärker auf den Text Einfluss nehmen könnte, denn tatsächlich verweilt man als User meist in der Beobachter- und Kommentator-Rolle. Wobei dann wieder die Frage ist, wie weit man gehen kann. Wäre es möglich, einen komplett offenen Text online zu stellen, in dem jeder schreiben kann? Kann man dann noch mit ernsthaften Beiträgen rechnen? Oder wäre, ganz im Gegenteil, nur das dann ein echter Netzroman?

 

Am 23. Juni 2017 wird die Autorin Sophie Stroux gemeinsam mit Thomas Lang und der Poetry-Slammerin Fee beim Münchner Seerosenkreis im Künstlerhaus am Lenbachplatz zu Gast sein. Thema der Veranstaltung ist Jugendstyle. Ein Abend über Aufbruch, Leichtsinn und das Überwinden von Grenzen – Aspekte des Schreibens wie sie auch im Netzroman behandelt werden.

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