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03.04.2024, 09:05 Uhr
Andrea Heuser
Spektakula

Die Ausstellung: „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“

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Alle Bilder: (c) Literaturportal Bayern

In Zeiten von Hate Speech einerseits und Cancel Culture andererseits haben es Worte schwer – sie können die Wucht von Blitzeinschlägen haben.

Die Ausstellung „Potz! Blitz! Vom Fluch des Pharao bis zur Hate Speech“ im Museum für Kommunikation in Nürnberg (22.2.24-12.01.2025) spürt der Lust am Tabubruch, dem Sprachphänomen des Kraftausdrucks einmal auf höchst unterhaltsame Weise nach und bricht eine Lanze für den geistreichen Fluch. Das Literaturportal war in Nürnberg vor Ort.  

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„Wir tun es alle: Schimpfen und Fluchen.“  

Die erste Überraschung: der bonbonfarbene Grundton der Ausstellung. Hätte man beim Thema Fluch und Hate Speech nicht eher pechschwarze, blitzeinschlag-neongelbe oder giftgrüne Stellwände erwartet? Weit gefehlt – inmitten von so viel Geistesfrust auf Ebene des öffentlichen Sprechens (Shitstorm, Hate Speech, Mobbing, Cancel Culture) betont diese Ausstellung die Geisteslust am schlagkräftigen Wort. Darf sie das?

Ja, sie darf. Findet Kurator Rolf-Bernhard Essig. Denn, so heißt es auf der Webseite des Museums: „Fluchen und Schimpfen [sind] ständige und lebendige Elemente jeder menschlichen Kommunikation.“

Und so schlägt diese Ausstellung, laut Ankündigungstext, einen Bogen „von saftigen Verfluchungen in Keilschrift über internationale Beschimpfungen mit Tiernamen bis zu Internet-Trollen und Hate Speech.“ Außerdem widmet sich „Potz! Blitz!“ dem Tabubruch. Es geht um „Männer- und Frauenschmähungen, um das Phänomen der Fluchabwehr durch das Tragen von Amuletten, um Ausraster in Fußball und Verkehr oder um vergebliche Verbote von Kraftausdrücken.“  

 

Historische Objekte, wie etwa Amulette, Voodoo-Püppchen, Tierschrumpfköpfe, Messer oder eine Bronzehand aus dem Iran, datiert um 1900, die man zur Abwehr böser Flüche über die Wiege hing und die als solche – laut Infotext – im Islam ebenso gebräuchlich war wie im Judentum und „weiteren Kulturen“, sind ebenso sicher hinter Vitrinen zu bestaunen wie Medienstationen dann wiederum Informationen über den so viel schwerer herzustellenden Schutz gegen Hate Speech und Shit Storms vermitteln; es liegen auch Broschüren und Informationsmaterial dazu aus. Zudem – dies ist besonders für Schulklassen attraktiv – gibt es regelmäßig Führungen und Mitmachveranstaltungen zu diesem Thema.

Mit den geführten, angeleiteten Veranstaltungen, Termine siehe Webseite, kommt diese Ausstellung einem wichtigen Desiderat nach: Denn Bildung und Aufklärungsarbeit, Gespräche erscheinen geradezu zwingend in diesen Zeiten, wo bereits Kitas und Schulen sich gezwungen sehen, sich entweder aus Gründen des Selbstschutzes – siehe etwa die Diskussion um die Anne-Frank-Kita in Sachsen-Anhalt – oder, wie das Otfried-Preußler-Gymnasium in Pullach, sich aus Gründen der politischen Correctness umbenennen zu wollen.

Der interaktive Part ist besonders liebevoll-originell gestaltet und kommt, wie vor Ort deutlich zu merken war, besonders bei Jugendlichen sehr gut an. Per Video-Game kann man gegeneinander mit Worten fighten, man kann seine eigenen liebsten Schimpfwörter auf der „Schimpfwortweltkarte“ per Zettel global verordnen – und die verschiedenen Sprachen und Alphabete, die sich dort versammeln, sprechen für die multikulturelle Zusammensetzung der Besucherinnen und Besucher. 

Bereichernd ist es zudem, auch etwas über die kulturellen und religiösen Hintergründe der Schimpfwörter aus den jeweiligen Ländern und damit über deren gesellschaftlich-moralischen Zusammenhänge zu lernen. Darüber hinaus kann man sich auch von dem Kurator Rolf-Bernhard Essig auf Wunsch höchstpersönlich per Videoklick interaktiv beschimpfen lassen. Hauptsache, dies geschieht geistreich, kreativ und respektvoll.

Die Ausstellung soll spürbar die Furcht vor der Schärfe des Worts nehmen, die kathartische Funktion des verbalen „Dampf-Ablassens“ erklären und dennoch nicht über die Grenzen hinwegtäuschen, wo der kreative, genüssliche affektgesteuerte verbale Austausch eben in Hass und Verletzung umschlägt. Die zwei Seiten der Medaille werden hier zusammengebracht.    

Insgesamt ist diese Ausstellung sehr zu empfehlen. Auf wenig Raum wird gerade dem Besucher, der vielleicht nur ein Stündchen Zeit mitbringt, sowohl Informatives, Wissensvertiefendes als auch Kurzweil und Unterhaltung geboten.

Nur auf die Unterschiede zwischen den so genannten Kategorien „Fluch“, „Schimpfwort“ und „Hassrede“ wird nicht genügend eingegangen; die Bereiche stehen jeweils recht verinselt nebeneinander. Die Krux des fließenden Übergangs wird nicht so recht thematisiert. Diese Transferleistung liegt dann wohl bei den Betrachtern selbst.