Info
06.12.2023, 12:09 Uhr
Redaktion
Gespräche
images/lpbblogs/instblog/2023/klein/DerEiserneMarquis_164.jpg#joomlaImage://local-images/lpbblogs/instblog/2023/klein/DerEiserneMarquis_164.jpg?width=164&height=262
„Der Eiserne Marquis“ © Liebeskind

Interview mit Tukan-Preisträger Thomas Willmann (2)

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/instblog/2023/klein/ThomasWillmannFreseMuenchen_500.jpg#joomlaImage://local-images/lpbblogs/instblog/2023/klein/ThomasWillmannFreseMuenchen_500.jpg?width=499&height=310
© Frese München

Thomas Willmann (*1969 in München) studierte Musikwissenschaften und arbeitete als Kulturjournalist beim Münchner Merkur und dem Tagesspiegel. ein Erstling Das finstere Tal erschien 2010 und wurde 2014 verfilmt. Sein neuer Roman Der eiserne Marquis ist gerade beim Liebeskind Verlag, München, erschienen und wird 2023 mit dem Tukan-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Christopher Bertusch und Johanna Mayer vom Literaturportal Bayern sprechen mit Thomas Willmann.

Erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews mehr darüber, was Der eiserne Marquis mit Patrick Süskinds Das Parfum verbindet bzw. trennt, welche Herausforderungen das Schreiben des Romans mit sich gebracht hat – und ob wir uns auf einen dritten Roman freuen dürfen. 

*

Beim Lesen der Szenen in Paris drängen sich Assoziationen zu Patrick Süskinds Das Parfum auf, wie Sie selbst eingestehen. Wie lassen sich diese Parallelen erklären? 

Der Schauplatz ist natürlich etwas Wichtiges, was die beiden Romane verbindet. Ich glaube, sie vereint auch der Versuch, das Ganze möglichst sinnlich zu erzählen. Ich habe zumindest versucht, dass man die Stadt bei mir auch riecht, hört, schmeckt und ein taktiles Gefühl für Paris entwickelt. Es gibt natürlich ebenso eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Figuren. Ich glaube aber, dass dies eher daher rührt, dass wir beide auf ältere Vorbilder einer genialischen Künstlerfigur, die über Leichen geht, zurückgreifen. Die Begabung, die Jean-Baptiste Grenouille für Gerüche aufweist, besitzt „Jacob Kainer“ für das Mechanische. Aber solche Konstellationen gibt es in vielen Schelmen, Künstler- oder Bildungsromanen. Grenouille ist eine etwas gebrochene Figur und mein Erzähler ist ebenso ein Narzisst und kein Held, selbst wenn er sich immer mal wieder für einen hält. Eventuell könnte man einen Unterschied zwischen den beiden Texten in der Brechung sehen, hinsichtlich dessen, was so eine Figur mit den Menschen um sie herum anstellt. Mein Roman erzählt zwar nicht aus der Perspektive der Frauen, die in „Jacobs“ Leben stehen, aber dass es ihnen nicht gut tut, diesen Mann in ihrem Leben zu haben, das ist in dem Text bewusst und das wird hoffentlich beim Lesen auch klar. Aber vielleicht erklärt das auch wieder zu viel. Es ist immer schwierig, wenn Leute, die Bücher schreiben, hinterher versuchen, diese zu interpretieren. Das ist meine eigene Ansicht und das muss nicht die richtige sein und schon gar kein Kanon. Mir missfällt es, wenn Autoren ihre Bücher erklären und man das einfach schlucken soll. Also ich bin offen für jeden Widerspruch. Früher konnte man noch etwas sagen und es wurde einmal in der Zeitung abgedruckt, aber heute steht es dann sofort im Internet auf Wikipedia als offizielle Deutung. Ich finde es schön, wenn Leute ihre ganz eigene Sicht auf Texte haben. 

Was hat Sie daran gereizt, über eine solche „genialische Künstlerfigur“ zu schreiben und welche Schwierigkeiten entpuppten sich im Schreibprozess? 

Die Figur des „Jacob Kainer“ kommt, glaube ich, von eben jenem finalen Bild, das ich am Anfang des Schreibprozesses hatte. Hier stellte sich zunächst die Frage: Wie kommt es dazu, dass dieser Moment existiert, und wer steht in dieser Szene? Darüber bin ich auf meine Figuren gekommen und es war klar, dass hier jemand involviert sein muss, der ein gewisses  Geschick in mechanischen Dingen aufweist. Aber an sich kann ich gar nicht mehr genau beantworten, woher der Erzähler letztendlich kam. Als er dann da war, fand ich ihn sehr reizvoll. Das 18. Jahrhundert prägte ja den Genie-Gedanken erst. Während des Schreibprozesses ist mir dann Ähnliches passiert wie in Das finstere Tal. Hier war der Protagonist Greider für mich am Anfang eindeutig ein Held und erst im Schreiben wurde mir immer mehr bewusst, wie schwierig seine Motivation und wie problematisch und düster sein Handeln eigentlich ist. Mir wurde klar, dass man das gar nicht so toll sehen sollte und am Ende keine wirkliche Erlösung stehen kann. Auch bei „Jacob Kainer“ dachte ich zuerst an einen schillerschen, genialischen jungen Mann, den ich noch deutlich positiver gesehen hatte. Erst während des Schreibens wurde mir bewusst, was er seinen Mitmenschen wirklich abverlangt. 

Was länger gebraucht hat, war herauszufinden, wie mein Erzähler klingt. Ich wusste, dass er nicht ganz normal, aber auch nicht zu abgehoben sprechen sollte. Schwierig war es hier, die Balance zu finden und herauszufinden, welchen Grad an Bewusstsein er von seinem eigenen Handeln besitzt. Der Text soll klarmachen, dass ich und der Erzähler nicht immer einer Meinung sind, ohne mit dem Holzhammer zu klopfen.

Die beiden Motive von Genie und Wahnsinn sind in Der eiserne Marquis eng verwoben. Was hat Sie an dieser Gegenüberstellung fasziniert? 

Ich wollte bewusst nicht auf die klassische „Alle Genies sind wahnsinnig“-Schiene verweisen. Ich muss zuerst einmal sagen, dass ich den Marquis sehr mag. Viele empfinden ihn wohl eher als eine abstoßende Gestalt. Doch in vielen seiner Ansichten bin ich seiner Meinung, mit Ausnahmen natürlich. Der Erzähler ist für mich eine deutlich unsympathischere Figur als der Marquis, denn letzterer stellt sich wenigstens der Verantwortung für sein Handeln. Zentral war für mich folgendes Motiv: Ich bin der Meinung, dass man versuchen muss, die Welt zu erkennen und zu begreifen, und dass der Weg dahin ein empirischer ist, anstatt dass man auf von oben herab gereichte Glaubenssätze vertraut. Man muss die Welt wirklich hinterfragen, selbst wenn man dabei auf Sachen stößt, die man gar nicht hören möchte. Denn die Welt richtet sich nicht nach dem eigenen Bild. Dem Marquis stellt sich letztendlich die Frage: Was mache ich mit all dieser Erkenntnis, wenn mein Ende genauso wie das von jemandem ausfällt, der nie irgendwas erkannt hat? Das ist der Zwiespalt, durch den am Ende alles auseinanderbricht und der dazu führt, dass der Marquis die Vernunft aufgibt. Selbst die vernünftigsten Leute gehen nach einer schwierigen, medizinischen Diagnose lieber zu irgendeinem Wunderheiler als zu sagen: „Naja, dann war’s das halt“. Dieser Gegensatz zwischen der persönlichen Vergänglichkeit und der Erkenntnis, dass die gesamte Wissenschaft nicht dagegen hilft, ist recht menschlich und verständlich. Das war für mich wichtiger als das klassische Motiv à la „Der große Geist muss dann auch im Wahnsinn groß sein“.

Dieser Zwiespalt zwischen der eigenen Vergänglichkeit und dem Versuch, die Grenzen der Natur zu überwinden, findet sich zuhauf in der Literatur des 18. Jahrhunderts, lässt sich aber auch auf heutige Diskurse beziehen. Gab es kontemporäre Impulse beim Schreiben? 

Es drängen sich natürlich die Parallelen auf. Ich habe erst vor Kurzem auf der BBC einen Podcast über Techbro-Millionäre und Transhumanisten gehört, die versuchen, unsterblich zu werden. Dabei dachte ich mir, ja, das kennen wir doch. Es war aber nicht von Haus aus das Ziel, etwas zu schreiben, das modern sein soll. Denn, wenn ich am Anfang der Konzeption, so um 2010 herum, gesagt hätte, ich möchte die jetzige Welt abbilden, dann wäre das heute wahrscheinlich ziemlich veraltet. Aber während dem Schreiben und Recherchieren haben sich natürlich immer mal wieder moderne Bezüge aufgedrängt. Es gibt zwei oder drei Stellen, wo ich wirklich das Taferl hochhalte und sage: „Habt ihr’s gemerkt? Bezug zum Heute!“ Es sind aber einfach auch Motive, die gar nicht so neu sind. In den 1980ern gab es die Roboter- und Androiden-Diskussion, die sich popkulturell in Filmen wie Terminator niedergeschlagen hat. Die Idee des künstlichen Menschen gab es aber auch schon im 19. Jahrhundert und in der Antike, beispielsweise bei Pygmalion und Galatea. Das sind vielleicht einfach zeitlose Ideen. Ich hatte während dem Schreiben aber auch immer das Gefühl, dass sich die heutige Welt gewissen Diskursen, die im 18. Jahrhundert en vogue waren, wieder annähert. Im 20. Jahrhundert verhandelten wir mehr noch das 19. Jahrhundert und nun kommen wieder Diskussionen auf, von denen ich dachte, dass wir sie schon lange abgeschlossen haben. Yanis Varoufakis hat kürzlich ein Buch über den Tech-Feudalismus geschrieben. Seine These ist, dass wir uns gerade schon aus dem Kapitalismus herausbewegen, hin zu einem Feudalismus der Tech-Konzerne. Damit wären wir wieder geradewegs im 18. Jahrhundert. Aber anstatt einem Fürsten haben wir nun Elon Musk. Solche Perspektiven sind mir zuhauf während dem Recherchieren aufgefallen, nur waren sie nicht von Anfang an intendiert. 

Gab es gewisse Szenen oder Momente, die Ihnen beim Schreiben besonderen Spaß bereitet haben? 

Man freut sich natürlich vor allem auf die großen Set Pieces. Andere Szenen, die Figuren von A nach B transportieren, sind viel schwieriger zu schreiben und wenn man weiß, dass am Ende davon ein großes Finale oder Feuerwerk steht, freut man sich sehr darauf. Das Schönste am Schreiben sind aber vielleicht die unerwarteten Momente, in denen viel mehr passiert, als man zuerst dachte. Ich denke da zum Beispiel an einen Moment vor dem Finale, in dem der Erzähler darüber nachdenkt, in das leere Haus zurückzukehren, anstatt in den Untergrund vorzudringen. Diese Szene hat mich emotional sehr beschäftigt. Oft gibt es auch Nebenfiguren, die plötzlich reinmarschieren und viel mehr machen, als man erwartet hätte. Ich wusste beispielsweise, dass es einen Major geben muss, der Rekruten für das preußische Heer anwirbt und dann saß diese Figur wie von selbst auf einmal da und war ganz wunderbar. Neben den erwartbaren, fetten Teilen erfreut das beim Schreiben am meisten. 

Die Verfilmung von Das finstere Tal feierte damals großen Erfolg. Wünschen Sie sich auch für Der eiserne Marquis eine Verfilmung? 

Ich empfinde Der eiserne Marquis deutlich mehr als einen Roman als einen Film. Einerseits wäre es wohl dramaturgisch schwierig, denn der Roman behandelt innerlich oder philosophisch viele Themen, die nur schwer visuell dargestellt werden könnten. Rein pragmatisch gesehen würde der Versuch, das Ganze realistisch zu verfilmen, wahrscheinlich ein riesiges Budget, sagen wir einmal 300 Millionen Euro erfordern. Da müsste sich das Buch noch radikal gut verkaufen. Wenn man so viel Geld ausgibt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass etwas Gutes dabei herauskommt, auch geringer. Denn dann stehen meist die falschen Leute am Ruder. Ich fände es spannend, wenn man ästhetisch eine komplett andere Variante wählen würde, beispielsweise einen Animationsfilm. Ich glaube, da könnte etwas Spannendes passieren. Ich rechne eher nicht damit, bin aber für alles offen. 

Die erste Idee zu Der eiserne Marquis kündigte sich schon vor dem Ende von Das finstere Tal an. Steht schon ein dritter Roman vor der Tür? 

Gerade bin ich erstmal damit zufrieden, dass dieser Klotz weg ist. Irgendwelche Ideen schweben immer im Hinterkopf herum, aber es gibt nichts, was dringlich ansteht. Wir schauen erst einmal wie Der eiserne Marquis läuft und ich genieße es, irgendwo zu hocken und in die Gegend zu schauen und vielleicht kleinere Sachen zum Spaß zu schreiben. Ohnehin bin ich auch erstmal mit meinen Lesetouren beschäftigt. Langweilig wird mir aber bestimmt über kurz oder lang und dann werde ich weiter schauen.