Zukunft, KI und wir – Was macht Künstliche „Intelligenz“ mit unserem Leben, Literatur und Arbeit?

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Bild von Alexandra Koch auf Pixabay

Die grundsätzliche Nutzung, Möglichkeiten und Grenzen von Künstlicher „Intelligenz“ oder vielmehr Künstlicher Kommunikation – darüber, ob und wie viel Chance, Gefahr oder schlicht Nutzbarkeit darin liegt, wo wir als Menschen noch sichtbar bleiben (müssen), was dabei Ikonen der Literatur wie Ingeborg Bachmann noch bedeuten in dieser immer engeren Verdrahtung von Mensch und Maschine, diskutierten am 5. Oktober in der Münchner Seidlvilla die Autorinnen Janet Clark und Theresa Hannig sowie Elena Strassl aus dem Münchner Verlagswesen. Eine Veranstaltung des VS Bayern/RG München-Oberbayern & ver.di, Konzeption und Moderation: Monika PfundmeierAndrea Heuser war für das Literaturportal Bayern mit dabei.

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Die Stimmung in der gut besuchten Seidlvilla ist spürbar angespannt. Es geht schließlich um nichts Geringeres als um die Gefährdung der eigenen beruflichen Existenz: Was macht die KI mit uns Künstler*innen? Sind unsere Arbeitsplätze zukünftig noch sicher? Oder ist die Menschheit gerade munter dabei, sich immer entbehrlicher zu machen?

 

Die KI ist da. Und sie verschwindet auch nicht wieder. Das ist unwiderruflich. Ein neues Zeitalter. Mit ‚Google Bard‘ kann die KI uns jetzt auch die Welt erklären. Sie besitzt inzwischen ein größeres Sprachverständnis als der Mensch.

Der Grundlagen-Vortrag, den Theresa Hannig in ihrer Eigenschaft als Autorin, Software-Entwicklerin und Politologin zum Thema „Zukunft, KI und wir“ hält, ist für alle, die das Thema bislang auf einem eher rudimentären Wissensstand verfolgt haben, ebenso anschaulich, prägnant und informativ wie – und dies ist zunächst durchaus überraschend – aufwühlend.

Es ist ja nun nicht so, dass die Themen rund um die KI und um Tools wie ChatGTP (Generative Pre-trained Transformer/ Chatbot, der mit Nutzer*innen über textbasierte Informationen und Bilder kommuniziert) oder LLM's (Large Language Model) hier zum ersten Mal angesprochen würden.

Die Schüler*innen etwa, die zu diesem Vortrags- und Diskussionsabend gekommen sind, betonten hinterher im Gespräch, sie hätten das eh schon alles gewusst: vom ‚Voice-Cloning‘ über KI-generierte Werbespots, die inzwischen gänzlich überzeugend den menschlichen Tonfall imitierenden journalistischen Berichte bis hin zu immerhin ziemlich guten Gedichtproduktionen. Und all dies wird eben durch KI in faszinierender wie bequemer Weise auch noch in Bruchteilen von Minuten/Sekunden produziert. Dennoch – wenn die Jugendlichen die sich immer rasanter entwickelnden Fähigkeiten der KI nun eben auch im sogenannten urmenschlichen Bereich der Kreativität so gebündelt präsentiert bekommen, zeigen auch sie sich sichtlich betroffen von den Ausmaßen, den umwälzenden Folgen, die eine immer effizienter trainierte KI auf die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt zukünftig haben wird.

Umso mehr, wenn sie dies anhand der Wirkung, die Theresa Hannigs Vortrag auf viele der hier anwesenden Künstlerinnen und Künstler hat, gespiegelt bekommen. Erwachsene, die ihr gesamtes bisheriges Berufsleben ohne KI erfolgreich bestreiten konnten, die aber nun plötzlich um ihre Kompetenzen bangen müssen. Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts erscheint dagegen geradezu wie ein laues Lüftchen gemessen an dem aktuellen, universellen wind of change. Zumal uns die KI, wie ein Zuhörer so treffend bemerkt, „nun auch noch die Dinge abnimmt, die uns eigentlich Spaß machen.“ Und wirklich: Muss eine KI Gedichte schreiben können? Welchen marktwirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Nutzen sollte das haben?  

Wem nützt es da schon zu erfahren, dass es KI strenggenommen bereits seit 1955 gibt, als J.P. McCarthy sie das erste Mal erwähnte? Also von wegen neuer Hut ...

Wovon aber reden wir überhaupt, wenn wir von KI sprechen?

Und zuallererst: Wie sprechen wir in unserer menschlichen Sprache angemessen über KI, ohne sie mit falschen Zuschreibungen wie: die KI ‚lernt‘, die KI ‚kann‘, die KI ‚weiß‘ zu menschenähnlich wirken zu lassen? Theresa Hannig betont zu Beginn ihres Vortrags daher ausdrücklich, dass man sich dieses Dilemmas in menschlicher Sprache über künstliche Intelligenzen reden zu müssen, bewusst sein muss. Da die KI (bislang noch) kein Wesen ist und kein Bewusstsein hat, handelt es sich bei allen Gesprächen über KI im Grunde um ein Sprechen im permanenten Modus der Anführungszeichen. So viel zum Wie. Wovon genau aber sprechen wir? Als Diskussionsbasis bietet Theresa Hannig die Definition des EU-Parlaments an:   

„Künstliche Intelligenz ist die Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“

Kreativität imitieren – Nach den kognitiven Bereichen geht's also längst auch der Kunst ans Leder.

Die globalen Gefahren (Auswahl!)

Die globalen Gefahren, die Theresa Hannig im Anschluss dann so eindringlich mit dem Zusatz „Auswahl!“ auflistet, leuchten unmittelbar ein:

  • Zerstörung/Bedrohung des Arbeitsmarktes für Künstler*innen, Journalist*innen sowie für alle text- und bildverarbeitenden Berufssparten
  • Demotivation („KI kann das eh besser und schneller erledigen als ich.“)
  • Massive Datenschutzverletzungen
  • Entwertungen der einzelnen Kunstprodukte durch Massenproduktionen
  • Zerstörungen anderer Wirtschaftsfaktoren
  • Senkung des Niveaus auf den niedrigen „gemeinsamen Nenner“
  • ‚Deep fake‘; Desinformationen, Fehlmeldungen/Fake news, Manipulation von Meinungen, Wissensgrundlagen
  • Verbreitung und Verfestigung von Vorurteilen (Denn die in die KI eingespeisten Informationen aus Texten aller Art werden nicht nach ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, ‚gut‘ oder ‚moralisch verwerflich‘ ausgewertet, sondern nach Erfolg oder Misserfolg. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen der Nutzer. Kein Verbot ist stärker als die Erlaubnis.)

Die Lern- und Verarbeitungsprozesse der KI sind eine Blackbox für uns.

Goethes Ballade vom Zauberlehrling mag einem da einfallen: Der ‚Künstliche Knecht‘, der von dem Zauberlehrling zur Arbeitserleichterung erzeugt wird, dann jedoch außer Kontrolle gerät. Wir leiten und lernen an, haben aber paradoxer Weise dennoch kaum Einblick. Denn wir nehmen laut Hannig in Kauf, dass wir der trainierten KI zwar eine Aufgabe stellen, aber dass der interne Weg, den sie zum Erreichen, zur Optimierung dieses Ziels zurücklegt, für uns im Dunkeln bleibt. Und so dreht sich im Endeffekt alles um die Frage der Kontrolle. Who is in charge? Wer bestimmt hier wen?   

Die KI ist – noch – kein Wesen. Sie ist ein Tool, ein nützliches Werkzeug. Sie ‚weiß‘ nichts. Sie tut, was wir ihr sagen.

Ein Werkzeug ist nützlich. Je effizienter wir damit arbeiten können, umso unverzichtbarer wird es. Je mehr es uns entlastet, desto stärker bauen wir es in unseren Alltag ein. Hannig formuliert es treffend so: „Die KI ist immer auch das, was wir noch nicht geschafft haben.“ Wie also können wir in Hinblick auf KI zu einer Handhabung finden, bei der der allgemeine Nutzen den Schaden überwiegt?  

Wir sind nicht so ohnmächtig, wie wir uns fühlen. – Ermächtigen wir uns!

Hier spricht nun auch die Politologin aus Theresa Hannig, wenn sie an die Zuhörerinnen und Zuhörer appelliert, die Tools der KI nicht nur mündig-produktiv-kritisch zu nutzen, sondern sich auch politisch für deren Regulierung zu engagieren; sich für Urheberrechte, Datenschutz und für Gesetzesbeschlüsse einzusetzen wie es etwa Monika Pfundmeier, Moderatorin und Organisatorin dieser Veranstaltung, in ihrer Doppel- eigentlich Dreifacheigenschaft als Schriftstellerin, Vorsitzende der Regionalgruppe München/Oberbayern des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Bayern und Vorstandsmitglied des European Writers' Council tut.     

Den Appell aufgreifend, mit dem Theresa Hannig ihren Vortrag beschließt, betont sie die Notwendigkeit, die globalen Herausforderungen der KI entsprechend auch auf internationaler Ebene anzugehen und die EU als wirkungsmächtiges Organ zu nutzen etwa über die Petitionen/Gesetzeseingaben des Europäischen Schriftstellerverbandes oder ver.di, z.B. zum Urheberrecht. 

(c) Roxane Bicker (Von links: Janet Clarke, Elena Strassl, Theresa Hannig, Monika Pfundmeier.)

Der KI den Riegel vorschieben: opt-out!

Monika Pfundmeier hat aber auch nützliche Tipps und Informationen, die man als Autor*in individuell umsetzen und beachten kann. Basierend auf der Tatsache, dass die KI auch an über 200.000 belletristischen Werken trainiert wurde – ein Zugriff, über den die jeweiligen Verfasser*innen nicht nur nicht informiert wurden, sondern der ihnen auch nicht vergütet wurde – besteht nun die Möglichkeit des sogenannten „opt-out“. Das bedeutet, man kann inzwischen in der jeweiligen Publikation ausdrücklich vermerken, dass dieses Werk der KI zu Trainingszwecken nicht zur Verfügung gestellt werden darf.

Hier gilt es dann jeweils persönlich abzuwägen, ob man KI sein Denken, seine Sprache und Inhalte zur Verfügung stellen möchte. Möglicherweise generiert das Werk dadurch ja mehr Aufmerksamkeit. Befürchtet man hingegen den Missbrauch des eigenen Sprach- und Gedankenguts, sollte man sich dieser Option auf jeden Fall bewusst sein.

Die anschließend von Monika Pfundmeier eröffnete Diskussion ist anregend und informativ. Sie wird neben Theresa Hannig, die sich den Fragen des Publikums zu ihrem Vortrag stellt, um den Input und die Beiträge zweier weiterer Gäste erweitert: Janet Clark, Autorin und vielfach vernetzte, engagierte Mitarbeiterin etwa im Netzwerk Autorenrechte, Mörderische Schwestern sowie Mitinitiatorin der Initiative #frauenzählen, weist besonders auf die frauenfeindliche und tendenziöse Ausrichtung der KI hin, da die meisten Texte, mit denen die KI lernt, wie sie es anschaulich darlegt, nach wie vor von weißen Männern stammen.   

Amerikanische Firmen, die Bewerbungsunterlagen von der KI vorsortieren ließen, bekamen hauptsächlich sportliche, weiße Männer präsentiert.

Das Problem konnte in dem vorgeführten Beispiel firmenintern dann behoben werden, aber es stimmt nachdenklich. Man kann sich gut vorstellen, wie viele ‚shitstorm‘-Beiträge aus sämtlichen Social Media-Kanälen da in die Trainings mit einfließen und was dies für Auswirkungen hat. Auch Bilder, die KI auf den Befehl „zeig mir die typische Frau“ dem Nutzer anbietet, sprechen Bände. Nicht nur vollbusige, ausschließlich junge und langhaarige Frauen vom Typ Barbie bestimmen hier wie zu erwarten das Bild. Transfrauen fehlen gänzlich. Diversität wird nicht abgebildet. Von älteren oder versehrten Frauen ganz zu schweigen.

Diesen Gedanken nimmt dann auch Elena Strassl, Geschäftsführerin vom & Töchter Verlag auf, die neben dem klaren Verweis darauf, dass Frauen in ihrer Diversität von den Ergebnissen der KI so gut wie gar nicht repräsentiert werden, dennoch auch einen gewissen Optimismus in die Diskussion mit einbringt. Denn die Autorinnen mit ihren ganz spezifischen Sprachqualitäten, ihrer jeweiligen Persönlichkeit und ihrer Originalität wird KI nicht ersetzen können. Weswegen Verlage, die Kunst und nicht billige anspruchslose Massenware (Groschenromane etc.) fördern, weiterhin auf Menschen setzen werden. Und so sehr sie an der KI als Tool im Sinne der Beschleunigung von Arbeitsprozessen interessiert sei und auch das Spannende daran betont, so sicher ist sie sich – hierin ganz im Einklang mit ihren Gesprächskolleginnen –, dass der biologische Mensch seinen Platz behaupten wird. Und ja: Wer mag denn schon auf das Konzert, auf die Lesung einer KI gehen?

Die KI strebt in ihrer Imitation das an, was uns am Ähnlichsten ist. Aber sie wird niemals wir sein.

So haben Studien laut Theresa Hannig auch gezeigt, dass KI eine ‚Temperatur‘ von achtzig Prozent anstrebt und nicht die vollkommene Hundertprozent-Übereinstimmung. Das mag daran liegen, dass uns sowohl der größte gemeinsame Nenner einerseits als auch die darin enthaltene Abweichung anderseits offenbar am Ähnlichsten ist und genau diese ‚Mischung‘ (80 %) daher die Gefragteste ist. Wer ist schon perfekt?  

Die Veranstaltung mündet schließlich in eine durchaus emotionale Diskussion, in der die Betroffenheit und die gefühlte Hilflosigkeit der Einzelnen eben auch spürbar wird. Neben dem ausgeprägten Problembewusstsein für die Gefahren, die von KI ausgehen, hat aber auch die dynamisch-konstruktive Sichtweise noch Raum. Schließlich schärft die Auseinandersetzung mit KI ja auch das Bewusstsein und das Nachdenken darüber, was Menschsein dann eigentlich noch bedeutet und wie schützenswert diese Menschlichkeit ist. Vielleicht wird ja eines Tages gerade das Fehlerhafte, das Authentische, die originelle, inspirierende Abweichung unser größtes Gut sein – jenseits von Optimierungs- und Perfektionszwängen. Die könnten wir der KI überlassen. Das wäre dann eine geradezu hoffnungsfrohe Aussicht.