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Gerhart Hauptmann, Fotografie 1942 (Bayerische Staatsbibliothek/Porträtsammlung).

Schloss Kaibitz: Erich Ebermayers Gerhart-Hauptmann-Archiv

Für eine kurze Zeitspanne rückt das einstige Hammerschloss Kaibitz, südlich der Stadt Kemnath in den Ausläufern des Steinwaldes gelegen, in den Blickpunkt der literarischen Öffentlichkeit. Von März bis Dezember 1945 ist hier das sogenannte „Archiv“, eine immense Sammlung von unveröffentlichten Manuskripten, Tage- und Notizbüchern, Presseberichten und Briefen, des Schriftstellers Gerhart Hauptmann eingelagert, der mit dem damaligen Besitzer Erich Ebermayer befreundet ist. Dieser hat 1939 das Schloss Kaibitz erworben und sanieren lassen. In dem autobiographischen Erinnerungsband „... und morgen die ganze Welt“ (1966) beschreibt er seine spontane Liebe zum neuen Lebensmittelpunkt: „Aber im Augenblick, als wir dann in den Park einfahren, habe ich ein seltsames Erlebnis. Ich weiß, bevor ich überhaupt etwas gesehen habe, daß dieses Haus mein Schicksal ist. Daß ich hier sein und bleiben werde. Daß es meine Heimat werden wird. ... Ich bin so verliebt in dieses Haus, in den verwilderten Park mit seinem kleinen See, in die alten hohen Bäume, in die heimelige Vorfahrt, die die beiden Seitenflügel wie schützende Arme umschließen.“

Als sich Anfang 1945 die Kampfhandlungen im Osten dem Wohnsitz Gerhart Hauptmanns im schlesischen Agnetendorf (heute Jagniątków) bedrohlich nähern, fasst ein enger Vertrauter des Dichters, der Jurist, Publizist und frühere Leiter der Theater- und Kultur-Abteilung des Berliner Polizeipräsidiums C. F. W. (Carl Friedrich Wilhelm) Behl (1889-1968), den Entschluss, mehrere Archivkisten in die Oberpfalz überführen zu lassen. Im März 1945 gelangt der „Schatz vom Wiesenstein“, wie Zeitgenossen das Archivmaterial rühmen, wohlbehalten in Schloss Kaibitz an. In Zusammenarbeit mit Felix A. Voigt (1892-1962), dem früheren Privatsekretär Hauptmanns, und Peer (eigentlich Ernst-Max) Baedeker (1912-1999), einem Freund und Mitarbeiter Ebermayers, beginnt Behl mit der Neuordnung des literarischen Bestands. Zudem bemühen sich die „Gralshüter“ auf Schloss Kaibitz um eine Revitalisierung der Hauptmann-Forschung. Man veröffentlicht Aufsätze in den neu erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften, sorgt für Neuausgaben oder gab bislang unveröffentlichtes Material, wie den Einakter Die Finsternisse, in Druck. Im Dezember 1945 erwirkt Benvenuto Hauptmann, der jüngste Sohn des Dichters, von den amerikanischen Besatzungsbehörden die Genehmigung, die Kisten mit dem literarischen Nachlass seines Vaters nach Garmisch-Partenkirchen in die Villa des Komponisten Richard Strauss zu bringen. Damit endet die weltliterarische  Bedeutung des oberpfälzischen Landsassengutes.

Links: Grabstein für Erich Ebermayer und seinen Vater, 1979 von Erich Ebermayer-Freund Peer Baedeker im Schlossgarten von Kaibitz gesetzt. Mitte und rechts: Die Autorinnen und Autoren der 21. Weidener Literaturtage besuchen auf Initiative von Kulturamtsleiter Bernhard M. Baron Schloss Kaibitz am 6. Mai 2005. Fotos: Horst Scheiner © Bernhard M. Baron

Erich Ebermayer, Sohn eines einflussreichen Juristen, hat zunächst als Rechtsanwalt gearbeitet, Mitte der zwanziger Jahre aber die literarische Bühne betreten. Sein erster Novellenband Dr. Angelo (1924) findet das Lob von Thomas Mann. In rascher Folge verfasst er Romane, Erzählungen und Bühnenstücke, die zu seinen Lebzeiten sehr erfolgreich sind. Bereits während der Weimarer Republik ein Liebling der Medien, bedeutet auch 1933 für den Vielbeschäftigten keine große Zäsur. Zwar hat er manche Bücherverbote zu erleiden, doch bleibt er als Drehbuchautor im Dritten Reich gefragt (Traumulus, 1936; Madame Bovary, 1937). 1945 nimmt er auf Ersuchen der amerikanischen Militärregierung, die ihn als ersten Nachkriegsbürgermeister in Kaibitz einsetzt, seinen Anwaltsberuf wieder auf. Mit gehobener Unterhaltungsliteratur und Drehbüchern, die wenigstens zum Teil auf Schloss Kaibitz entstehen (Die Mädels vom Immenhof, 1956; Der blaue Nachtfalter, 1959), feiert er in der Ära Adenauer neue Erfolge. Obwohl er die letzten Lebensjahre überwiegend in Terracina bei Rom verbringt, wo er 1970 stirbt, wird seine Urne auf testamentarischen Wunsch im Schlosspark zu Kaibitz beigesetzt. Ein 1979 auf Betreiben von Peer Baedeker errichteter Grabstein erinnert an den „Hauptmann-Freund“.

Verfasst von: Manfred Knedlik

Sekundärliteratur:

Baron, Bernhard M. (2014): Erich Ebermayer in Kaibitz. Von einem (fast) vergessenen Schriftsteller und Drehbuchautor. In: Oberpfälzer Heimat 58, Weiden i.d. OPf, S. 219-229.

Ders. (2020): Rettung vor der Roten Armee: Wie das Hauptmann-Archiv in die Oberpfalz kam. In: Der neue Tag (Weiden i.d. OPf.), Kultur, 7. September, S. 9.

Ebermayer, Erich (2005): „Eh' ich's vergesse ...“. Erinnerungen an Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Klaus Mann, Gustaf Gründgens, Emil Jannings und Stefan Zweig. Hg. und mit einem Vorwort von Dirk Heißerer. Langen Müller, München.

Hildebrandt, Klaus; Kuczyński, Krzysztof A. (Hg.) (2002): Weggefährten Gerhart Hauptmanns. Förderer – Biographen – Interpreten. Bergstadtverlag Korn, Würzburg.

Knedlik, Manfred (1992): Schloss Kaibitz und der „letzte deutsche Klassiker“. Auf den Spuren des Gerhart-Hauptmann-Archivs. In: Die Oberpfalz 80, S. 65-70.

Schön, Robert (2010): „... und morgen die ganze Welt“. Erich Ebermayer kauft Schloss Kaibitz. In: Heimat Landkreis Tirschenreuth 22, S. 98-114.

Quelle:

Hans Pleschinski: Wiesenstein. Roman. C.H. Beck, München 2018.