Gabriele Reuter
Geboren wird Gabriele Reuter am 8. Februar 1859 in Alexandria. Ihr Vater ist der Geschäftsmann und damalige Sekretär des preußischen Konsulats in Ägypten, Karl Reuter (1822-1872), ihre Mutter die in Magdeburg aufgewachsene Johanna Behmer (1830-1903). Schon in jungen Jahren reist die Familie viel. Und so geht es denn im Sommer 1860 auch nach Europa, in die Residenzstadt Dessau, wo die Großmutter lebt. Ab 1864 führt die Familie in Dessau einen zweiten Haushalt, während der Vater zwischen Deutschland und Ägypten hin und her reist. Mittlerweile hat Gabriele auch drei Brüder. Als Karl Reuter 1868 unverschuldet in Schwierigkeiten gerät, kehrt die Familie 1869 zurück nach Alexandria. Das orientalische Milieu verschafft Gabriele und ihren Brüdern unvergessliche Eindrücke. Drei Jahre später begibt sich die Familie Reuter wieder nach Deutschland und zieht 1872 zur Tante Auguste Oberbeck (1819-1904) nach Althaldensleben bei Magdeburg.
Nach dem Tod von Karl Reuter am 14. Oktober 1872 ist die Familie fortan Geldmangel ausgesetzt. Gabriele kommt u.a. zur Ausbildung in das Breymannsche Institut in Wolfenbüttel (Neu-Watzum), wo Mädchen aus bürgerlichem Hause auf die pädagogische Arbeit mit Kindern vorbereitet werden. Aus finanziellen Gründen muss sie die Ausbildung Ostern 1873 bereits wieder abbrechen. Ihre Mutter lässt sich nun mit den Kindern in Neuhaldensleben nieder. Im Mai 1875 wird Gabriele Reuter von ihrer Tante Auguste Oberbeck, die nach Weimar gezogen ist, eingeladen. Angeregt von der geistigen Atmosphäre der Klassikerstadt kehrt sie mehrfach nach Weimar zurück. Gefördert von ihrer Tante Johanna Oberbeck-Achten, der jüngeren Schwester Auguste Oberbecks, beginnt Gabriele Reuter mit dem Schreiben.
Stoff dafür bieten ihr zunächst ihre Kindheitserlebnisse im Orient. Bald finden sich in der Magdeburgischen Zeitung Artikel von ihr: „Erinnerungsblätter aus Aegypten“ (1878/80). Im September 1879 zieht Gabrieles Mutter mit ihren Kindern nach Weimar. Zehn Jahre bewegt sich Gabriele Reuter nun in Weimars Künstlerkreisen. Dann erscheinen ihr die Umstände wie „lähmendes Gift“. Ihre Erlebnisse verarbeitet die 30-Jährige in Episode Hopkins. Zu spät. Zwei Studien (1889). Zudem hat sie 1888 einen Roman mit exotischem Kolorit geschrieben, Glück und Geld. Roman aus dem heutigen Egypten (1888) und 1889 die Novelle Kolonistenvolk.
Mit dem Geld, das sie durch ihre Schriftstellerei verdient, reist sie 1890 mit ihrer Mutter in das bayerische Kochel. In der Schweiz trifft sie den Freund J. H. Mackay, der ihr rät, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen und Weimar und den dortigen Familienkreis, der jede Produktivität ersticke, zu verlassen. Reuter entschließt sich für ein Boheme-Leben, dazu mit ihrer Mutter in die bayerische Metropole München überzusiedeln: „München ist immer das Ziel der ‚Befreiten‘. Es war auch das unsere.“ (Reuter 1921, S. 423)
In München wohnen Mutter und Tochter in einer bescheidenen Fremdenpension. Hier nimmt sie bald die aus einer alten Münchner Künstlerfamilie stammende Schriftstellerin Emma Merk (1854-1925) unter ihre Fittiche. In Merks Wohnung treffen sich nicht nur die bewegten und emanzipierten Frauen Münchens wöchentlich zu einem „Jour“, sondern auch Künstler und Gelehrte. Hier lernt Reuter Carry Brachvogel, Max Haushofer, seine Tochter Marie Haushofer und den Maler Karl Stieler kennen. Emma Merk führt Reuter bei den Treffen der Münchner Schriftstellerinnen im Café „Isarlust“, Praterinsel 5 ein. Auf der Suche nach ihrer schriftstellerischen Aufgabe und im Austausch mit Münchner Schriftstellerinnen fasst Gabriele Reuter hier den Entschluss, das Schicksal eines bürgerlichen Mädchens zu schildern: „Und plötzlich wusste ich, wozu ich auf der Welt war: zu künden, was Mädchen und Frauen schweigend litten.“ Und so schreibt Reuter in München die ersten Kapitel (Reuter 1921, S. 432).
1891 muss sie nach Weimar zurückkehren. Ihre Mutter ist nun auf ständige Pflege angewiesen. Sie empfindet die Rückkehr als das Scheitern ihrer Lebenspläne. In Weimar schreibt sie unter schwierigen Bedingungen weiter an ihrem Roman, angeregt von einem neuem Bekanntenkreis. Nun beschäftigt sie sich auch mit Nietzsche, dessen Schriften sie in München kennengelernt hat und besucht ihn in Naumburg. Bald steht sie in freundschaftlicher Beziehung zu Frau Förster-Nietzsche.
Einband der Erstausgabe des Romans
Als ihr dritter Roman Aus guter Familie 1895 bei S. Fischer in Berlin erscheint, macht er Gabriele Reuters Namen in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt. Der Roman erzählt die Leidensgeschichte der Agathe Heidling im Wilhelminischen Deutschland. Diese scheitert an dem typischen Lebensweg der bürgerlichen Frau, „Jungfrau, Gattin und Mutter“, an der Unvereinbarkeit ihrer Persönlichkeit und des realen Lebens mit dem weiblichen Erziehungsideal ihrer Zeit. Das Schicksal der Agathe soll provozieren, einen Beitrag zum Verständnis der Probleme der bürgerlichen Mädchen „aus gutem Hause“ leisten.
Das Buch wird zu einem Identifikationsbuch einer ganzen Generation und der Frauenbewegung. 1904 schreibt der österreichische Schriftsteller Karl Federn Gabriele Reuters Erfolg überblickend:
Nicht alle Mädchen „aus guter Familie“ gehen so armselig zugrunde, wie die unglückliche Heldin ihres Romans, aber nur sehr wenig Mädchen aus guter Familie wird es geben, deren Schicksal und Entwicklung nicht irgendwie durch die gleichen törichten Schranken gehemmt und gestört worden, in deren Charakter nicht eine Spur der Jämmerlichkeiten der „guten Familie“ verhängnisvoll geblieben ist. Darum hat das Buch auch einen so überaus starken Erfolg gehabt. (Federn 1904, 146f.)
Im Herbst 1895 siedelt Reuter mit ihrer Mutter nach München über, nach Schwabing in die Seestraße 41/2. Hier tritt sie 1896 in den 1894 auf Anregung von Anita Augspurg, Sophia Goudstikker und Emma Merk gegründeten „Verein für geistige Interessen der Frau“ ein (1899: Verein für Interessen der Frau e.V.). Seine Präsidentin ist Ika Freudenberg. Emma Merk, mit der Reuter seit 1890 in Kontakt geblieben ist, ist hier an vorderster Front im Vereinsvorstand tätig. Von 1896 bis 1898 wirkt nun auch Gabriele Reuter im Vorstand des Vereins. Wie so viele Künstler ihrer Zeit erkundet sie von Schwabing aus aber auch das Voralpenland.
Im Seehotel Leoni, Gemeinde Berg, lernt die 38-Jährige den in München ansässigen Schriftsteller und Privatgelehrten Benno Rüttenauer (1855-1940) kennen. Er ist der Vater ihrer Tochter, die am 18. Oktober 1897 im Geburtshaus für ledige Mütter in Erbach an der Donau ihre Tochter Elisabeth (Lili) geboren wird. Im Roman Das Tränenhaus (1908) schildert Reuter später die dortigen Verhältnisse. Im Gegensatz zu der zum Wahnsinn getriebenen Antiheldin bewältigt Gabriele Reuter ihre Mutterschaft auch ohne Ehepartner.
1899 zieht sie mit ihrer Tochter und der kränkelnden Mutter nach Berlin. Auch fortan bleibt sie Mitglied im Münchner Verein für Fraueninteressen. Literarisch ist sie in den folgenden Jahren als Autorin des in Berlin ansässigen S. Fischer Verlages höchst produktiv. Hier entstehen weitere Werke und Bestseller, die sich durch die Schilderung seelischer Zustände auszeichnen, darunter Ellen von der Weiden (1900), Frauenseelen (1901) und Der Amerikaner (1907).
1929 kehrt Gabriele Reuter endgültig nach Weimar zurück. Die Weltwirtschaftskrise (1929-1932) hat die 70-jährige Schriftstellerin um ihre Ersparnisse gebracht. Die folgenden 10 Jahre arbeitet sie als Rezensentin für die New York Times. Wegen ihrer nachlassenden Sehkraft wird sie dabei von ihrer Tochter Lili unterstützt. 1939 ziehen Mutter und Tochter in die Pension der Burg- und Reichsgräfin Margarete (Daisy) zu Dohna-Schlodien (†1969).
Am 13. November 1941 stirbt Gabriele Reuter. Ihr Grab auf dem Historischen Friedhof in Weimar gibt es nicht mehr. Nur in Haldensleben erinnert eine Gedenktafel am Bürgerbüro, Markt 20-22, an die Dichterin. Ihr Nachlass befindet sich im Goethe- und-Schiller-Archiv.
Sekundärliteratur:
Federn, Karl (1904): Frauenseelen (Gabriele Reuter). In: Essays zur vergleichenden Literaturgeschichte. Eine Sammlung von Zeitschriftenaufsätzen des österreichischen Übersetzers und Schriftstellers Karl Federn (1868-1943). München/Leipzig, Georg Müller, S. 147-158.
Haupt, Klaus-Werner (o.D.): Gabriele Reuter. Eine zu Unrecht vergessene Schriftstellerin. In: weimar-lese.de. URL: http://www.weimar-lese.de/index.php?article_id=768, (14.12.2017).
Mellmann, Katja (Hg.) (2006): Gabriele Reuter. Leidensgeschichte eines Mädchens. Studienausgabe mit Dokumenten. Bd. 1: Text. Bd. 2: Dokumente. Marburg.
Seemann, Annette (2016): Gabriele Reuter. Leben und Werk einer geborenen Schriftstellerin. Weimarer Verlagsgesellschaft.
Tingery, David (2014): Seductive and destructive: Argentina in Gabriele Reuter's Kolonistenvolk (1889). In: McFarland, Rob; Stott James, Michelle (Hg.): Sophie discovers America: German-Speaking Women Write in the New World. Boydell & Brewer Ltd., S. 102-110.
Quellen:
Gabriele Reuter: Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens. Fischer Verlag, Berlin 1895.
Dies.: Vom Kinde zum Menschen. Die Geschichte meiner Jugend. Fischer Verlag, Berlin 1921.
Verein für Fraueninteressen (Hg.): 3. Jahresbericht. München 1897.
Ders. (Hg.): 18. und 19. Jahresbericht. München 1913.
Externe Links:
Literatur von Gabriele Reuter im BVB
Literatur über Gabriele Reuter im BVB
Geboren wird Gabriele Reuter am 8. Februar 1859 in Alexandria. Ihr Vater ist der Geschäftsmann und damalige Sekretär des preußischen Konsulats in Ägypten, Karl Reuter (1822-1872), ihre Mutter die in Magdeburg aufgewachsene Johanna Behmer (1830-1903). Schon in jungen Jahren reist die Familie viel. Und so geht es denn im Sommer 1860 auch nach Europa, in die Residenzstadt Dessau, wo die Großmutter lebt. Ab 1864 führt die Familie in Dessau einen zweiten Haushalt, während der Vater zwischen Deutschland und Ägypten hin und her reist. Mittlerweile hat Gabriele auch drei Brüder. Als Karl Reuter 1868 unverschuldet in Schwierigkeiten gerät, kehrt die Familie 1869 zurück nach Alexandria. Das orientalische Milieu verschafft Gabriele und ihren Brüdern unvergessliche Eindrücke. Drei Jahre später begibt sich die Familie Reuter wieder nach Deutschland und zieht 1872 zur Tante Auguste Oberbeck (1819-1904) nach Althaldensleben bei Magdeburg.
Nach dem Tod von Karl Reuter am 14. Oktober 1872 ist die Familie fortan Geldmangel ausgesetzt. Gabriele kommt u.a. zur Ausbildung in das Breymannsche Institut in Wolfenbüttel (Neu-Watzum), wo Mädchen aus bürgerlichem Hause auf die pädagogische Arbeit mit Kindern vorbereitet werden. Aus finanziellen Gründen muss sie die Ausbildung Ostern 1873 bereits wieder abbrechen. Ihre Mutter lässt sich nun mit den Kindern in Neuhaldensleben nieder. Im Mai 1875 wird Gabriele Reuter von ihrer Tante Auguste Oberbeck, die nach Weimar gezogen ist, eingeladen. Angeregt von der geistigen Atmosphäre der Klassikerstadt kehrt sie mehrfach nach Weimar zurück. Gefördert von ihrer Tante Johanna Oberbeck-Achten, der jüngeren Schwester Auguste Oberbecks, beginnt Gabriele Reuter mit dem Schreiben.
Stoff dafür bieten ihr zunächst ihre Kindheitserlebnisse im Orient. Bald finden sich in der Magdeburgischen Zeitung Artikel von ihr: „Erinnerungsblätter aus Aegypten“ (1878/80). Im September 1879 zieht Gabrieles Mutter mit ihren Kindern nach Weimar. Zehn Jahre bewegt sich Gabriele Reuter nun in Weimars Künstlerkreisen. Dann erscheinen ihr die Umstände wie „lähmendes Gift“. Ihre Erlebnisse verarbeitet die 30-Jährige in Episode Hopkins. Zu spät. Zwei Studien (1889). Zudem hat sie 1888 einen Roman mit exotischem Kolorit geschrieben, Glück und Geld. Roman aus dem heutigen Egypten (1888) und 1889 die Novelle Kolonistenvolk.
Mit dem Geld, das sie durch ihre Schriftstellerei verdient, reist sie 1890 mit ihrer Mutter in das bayerische Kochel. In der Schweiz trifft sie den Freund J. H. Mackay, der ihr rät, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen und Weimar und den dortigen Familienkreis, der jede Produktivität ersticke, zu verlassen. Reuter entschließt sich für ein Boheme-Leben, dazu mit ihrer Mutter in die bayerische Metropole München überzusiedeln: „München ist immer das Ziel der ‚Befreiten‘. Es war auch das unsere.“ (Reuter 1921, S. 423)
In München wohnen Mutter und Tochter in einer bescheidenen Fremdenpension. Hier nimmt sie bald die aus einer alten Münchner Künstlerfamilie stammende Schriftstellerin Emma Merk (1854-1925) unter ihre Fittiche. In Merks Wohnung treffen sich nicht nur die bewegten und emanzipierten Frauen Münchens wöchentlich zu einem „Jour“, sondern auch Künstler und Gelehrte. Hier lernt Reuter Carry Brachvogel, Max Haushofer, seine Tochter Marie Haushofer und den Maler Karl Stieler kennen. Emma Merk führt Reuter bei den Treffen der Münchner Schriftstellerinnen im Café „Isarlust“, Praterinsel 5 ein. Auf der Suche nach ihrer schriftstellerischen Aufgabe und im Austausch mit Münchner Schriftstellerinnen fasst Gabriele Reuter hier den Entschluss, das Schicksal eines bürgerlichen Mädchens zu schildern: „Und plötzlich wusste ich, wozu ich auf der Welt war: zu künden, was Mädchen und Frauen schweigend litten.“ Und so schreibt Reuter in München die ersten Kapitel (Reuter 1921, S. 432).
1891 muss sie nach Weimar zurückkehren. Ihre Mutter ist nun auf ständige Pflege angewiesen. Sie empfindet die Rückkehr als das Scheitern ihrer Lebenspläne. In Weimar schreibt sie unter schwierigen Bedingungen weiter an ihrem Roman, angeregt von einem neuem Bekanntenkreis. Nun beschäftigt sie sich auch mit Nietzsche, dessen Schriften sie in München kennengelernt hat und besucht ihn in Naumburg. Bald steht sie in freundschaftlicher Beziehung zu Frau Förster-Nietzsche.
Einband der Erstausgabe des Romans
Als ihr dritter Roman Aus guter Familie 1895 bei S. Fischer in Berlin erscheint, macht er Gabriele Reuters Namen in ganz Deutschland und darüber hinaus bekannt. Der Roman erzählt die Leidensgeschichte der Agathe Heidling im Wilhelminischen Deutschland. Diese scheitert an dem typischen Lebensweg der bürgerlichen Frau, „Jungfrau, Gattin und Mutter“, an der Unvereinbarkeit ihrer Persönlichkeit und des realen Lebens mit dem weiblichen Erziehungsideal ihrer Zeit. Das Schicksal der Agathe soll provozieren, einen Beitrag zum Verständnis der Probleme der bürgerlichen Mädchen „aus gutem Hause“ leisten.
Das Buch wird zu einem Identifikationsbuch einer ganzen Generation und der Frauenbewegung. 1904 schreibt der österreichische Schriftsteller Karl Federn Gabriele Reuters Erfolg überblickend:
Nicht alle Mädchen „aus guter Familie“ gehen so armselig zugrunde, wie die unglückliche Heldin ihres Romans, aber nur sehr wenig Mädchen aus guter Familie wird es geben, deren Schicksal und Entwicklung nicht irgendwie durch die gleichen törichten Schranken gehemmt und gestört worden, in deren Charakter nicht eine Spur der Jämmerlichkeiten der „guten Familie“ verhängnisvoll geblieben ist. Darum hat das Buch auch einen so überaus starken Erfolg gehabt. (Federn 1904, 146f.)
Im Herbst 1895 siedelt Reuter mit ihrer Mutter nach München über, nach Schwabing in die Seestraße 41/2. Hier tritt sie 1896 in den 1894 auf Anregung von Anita Augspurg, Sophia Goudstikker und Emma Merk gegründeten „Verein für geistige Interessen der Frau“ ein (1899: Verein für Interessen der Frau e.V.). Seine Präsidentin ist Ika Freudenberg. Emma Merk, mit der Reuter seit 1890 in Kontakt geblieben ist, ist hier an vorderster Front im Vereinsvorstand tätig. Von 1896 bis 1898 wirkt nun auch Gabriele Reuter im Vorstand des Vereins. Wie so viele Künstler ihrer Zeit erkundet sie von Schwabing aus aber auch das Voralpenland.
Im Seehotel Leoni, Gemeinde Berg, lernt die 38-Jährige den in München ansässigen Schriftsteller und Privatgelehrten Benno Rüttenauer (1855-1940) kennen. Er ist der Vater ihrer Tochter, die am 18. Oktober 1897 im Geburtshaus für ledige Mütter in Erbach an der Donau ihre Tochter Elisabeth (Lili) geboren wird. Im Roman Das Tränenhaus (1908) schildert Reuter später die dortigen Verhältnisse. Im Gegensatz zu der zum Wahnsinn getriebenen Antiheldin bewältigt Gabriele Reuter ihre Mutterschaft auch ohne Ehepartner.
1899 zieht sie mit ihrer Tochter und der kränkelnden Mutter nach Berlin. Auch fortan bleibt sie Mitglied im Münchner Verein für Fraueninteressen. Literarisch ist sie in den folgenden Jahren als Autorin des in Berlin ansässigen S. Fischer Verlages höchst produktiv. Hier entstehen weitere Werke und Bestseller, die sich durch die Schilderung seelischer Zustände auszeichnen, darunter Ellen von der Weiden (1900), Frauenseelen (1901) und Der Amerikaner (1907).
1929 kehrt Gabriele Reuter endgültig nach Weimar zurück. Die Weltwirtschaftskrise (1929-1932) hat die 70-jährige Schriftstellerin um ihre Ersparnisse gebracht. Die folgenden 10 Jahre arbeitet sie als Rezensentin für die New York Times. Wegen ihrer nachlassenden Sehkraft wird sie dabei von ihrer Tochter Lili unterstützt. 1939 ziehen Mutter und Tochter in die Pension der Burg- und Reichsgräfin Margarete (Daisy) zu Dohna-Schlodien (†1969).
Am 13. November 1941 stirbt Gabriele Reuter. Ihr Grab auf dem Historischen Friedhof in Weimar gibt es nicht mehr. Nur in Haldensleben erinnert eine Gedenktafel am Bürgerbüro, Markt 20-22, an die Dichterin. Ihr Nachlass befindet sich im Goethe- und-Schiller-Archiv.
Federn, Karl (1904): Frauenseelen (Gabriele Reuter). In: Essays zur vergleichenden Literaturgeschichte. Eine Sammlung von Zeitschriftenaufsätzen des österreichischen Übersetzers und Schriftstellers Karl Federn (1868-1943). München/Leipzig, Georg Müller, S. 147-158.
Haupt, Klaus-Werner (o.D.): Gabriele Reuter. Eine zu Unrecht vergessene Schriftstellerin. In: weimar-lese.de. URL: http://www.weimar-lese.de/index.php?article_id=768, (14.12.2017).
Mellmann, Katja (Hg.) (2006): Gabriele Reuter. Leidensgeschichte eines Mädchens. Studienausgabe mit Dokumenten. Bd. 1: Text. Bd. 2: Dokumente. Marburg.
Seemann, Annette (2016): Gabriele Reuter. Leben und Werk einer geborenen Schriftstellerin. Weimarer Verlagsgesellschaft.
Tingery, David (2014): Seductive and destructive: Argentina in Gabriele Reuter's Kolonistenvolk (1889). In: McFarland, Rob; Stott James, Michelle (Hg.): Sophie discovers America: German-Speaking Women Write in the New World. Boydell & Brewer Ltd., S. 102-110.
Quellen:
Gabriele Reuter: Aus guter Familie. Leidensgeschichte eines Mädchens. Fischer Verlag, Berlin 1895.
Dies.: Vom Kinde zum Menschen. Die Geschichte meiner Jugend. Fischer Verlag, Berlin 1921.
Verein für Fraueninteressen (Hg.): 3. Jahresbericht. München 1897.
Ders. (Hg.): 18. und 19. Jahresbericht. München 1913.