Info
Geb.: 9. 3.1955 in Oberstdorf
Walter Steffen, 2017. Foto: Thomas Heinser © Thomas Heinser
Wirkungsorte:
Gunzesried

Walter Steffen

Dass der spätere Autor, Regisseur und Filmemacher Walter Steffen 1955 in Oberstdorf zur Welt kommt, ist eine Folge der Ereignisse, durch die das Leben seiner Eltern 1945 in völlig neue Bahnen gelenkt wird. Sein Vater, ein aus Berlin stammender Kaufmann, und seine Mutter, eine Kinder­gärtnerin, lernen sich in den letzten Kriegstagen kennen und lieben. Der Vater desertiert aus der Wehrmacht und flieht mit der 17 Jahre jüngeren Mutter nach Dänemark, wo sie sich bis Kriegsende verstecken. Anschließend durchqueren sie mit nur einem Fahrrad das zerstörte Deutschland von Norden nach Süden und lassen sich in Oberstdorf nieder, wo die Großmutter väterlicher­seits bereits Zuflucht gefunden hat. Bis zu seinem 10. Lebensjahr lebt Walter Steffen mit seinen Eltern und seinem drei Jahre älteren Bruder im Obergeschoß des größten Bauernhofs im Ort. Es ist eine glückliche Zeit für ihn mit Bergtouren, Skifahren und Skispringen, dem Eingebunden-Sein in die Arbeitsabläufe auf dem Hof und mit einer liebevollen Allgäuer Großmutter, die immer Zeit für alle Kinder hat. Weit weniger angenehm sind die handgreiflichen Aus­einander­setzungen mit Kindern alteingesessener Familien, die den Flüchtlingskindern, „den Evangelischen“, damit offensichtlich klarmachen wollen, wer welchen Rang im Ort einnimmt. Der täglich gehörte Satz „Du gehörst hier nicht her“ brennt sich in die Köpfe der Flüchtlingskinder ein. Walter Steffen und sein Bruder müssen sich zur Wehr setzen und sich Respekt verschaffen.

Walter Steffen geht schon damals häufig ins Kino, seine Liebe zum Film ist groß. Mit 15 Jahren beginnt er, erste Gedichte, Kurzgeschichten und kleine Theaterstücke zu schreiben. Sein Fernweh führt ihn als Jugendlicher quer durch Europa; seine Eltern lassen ihn ziehen, das Geld dafür muss er sich aber selbst verdienen. 1975 legt er sein Abitur in Kempten ab und absolviert in den folgenden fünf Jahren sein Studium des Lebens, wie er es nennt: Er arbeitet als Skilehrer, Hüttenwirt auf dem Waltenberger Haus in den Oberstdorfer Bergen, als Hafenarbeiter in Rotterdam, als Fabrikarbeiter und Landvermesser und vieles mehr. Reisen führen ihn durch Europa, Nord- und Mittelamerika, den Nahen Osten und Asien. Nach seiner Rückkehr ist es sein erklärtes Ziel, Schriftsteller zu werden. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Essays und arbeitet als Autor und Regisseur der freien Theatergruppe „Kreather Brennsuppe“. In dieser Zeit entstehen kurze Drehbücher und Super-8-Kurzfilme. Zwischendurch fährt er als Trucker durch ganz Europa und Arabien, um Geld anzusparen. 1982 absolviert Walter Steffen dann ein Praktikum an den Münchner Kammerspielen und ein Volontariat bei Michael Verhoeven. Es folgt die Trennung von seiner ersten Frau und der Umzug vom Oberallgäu nach München. Walter Steffen ist als Fahrer, Aufnahmeleiter, Regieassistent und Produktionsleiter bei kleinen und mittleren Fernseh- und Filmproduktionen tätig. Eine große Zäsur in seinem Leben bedeutet der Tod seines Bruders, eines Alphirten im Gunzesrieder Tal, der 1985 unter ungeklärten Umständen auf dem Heimweg zu seiner Alpe ums Leben kommt.

Walter Steffen ist in der Folgezeit als freier Autor und Regisseur für Industrie-, Schulungs- und Imagefilme tätig. Zudem produziert er eigene fiktionale Kurzfilme, mit denen er an internationalen Festivals teilnimmt. Ab 1991 schreibt er Drehbücher für Film und Fernsehen und entwickelt TV-Serien wie „Edel & Starck“ mit dem Co-Autor Manfred Birkl. Insgesamt entstehen mehr als 50 Drehbücher, die filmisch umgesetzt werden.

Walter Steffen bei Dreharbeiten 2019 © Konzept + Dialog, Walter Steffen

2007 gründet Walter Steffen seine eigene Firma und realisiert seither als Autor, Regisseur und Produzent vor allem Dokumentarfilme. Auf seiner Homepage heißt es dazu: „Wir erstellen Konzepte für TV- & Kinofilme, schreiben Drehbücher, entwickeln und realisieren Filmprojekte im dokumentarischen und fiktionalen Bereich, die dazu beitragen, den Dialog der Menschen und ihr Verständnis füreinander zu fördern. Hierfür wählen wir Themen aus, die kulturelle, ethische und soziale Fragen unserer Zeit unterhaltsam reflektieren – regional, national, international.“

Steffens Dokumentarfilme – zwischen 2007 und 2021 sind 14 abendfüllende Filme entstanden – sind für das Kino gemacht und behandeln ganz unterschiedliche Themen. In die Reihe „Geschichten vom Starnber­ger See“ gehören die Filme Bulldogs (2007) über alte Traktoren und ihre Besitzer, Netz & Würm (2009) über die Fischerei rund um den Starnberger See und Zeug & Werk (2010) über alte Handwerksberufe. Der Dokumentarfilm Endstation Seeshaupt (2011) thematisiert die Geschichte des Todeszuges, mit dem die Nationalsozialisten im April 1945 ungefähr 4000 KZ-Häftlingen aus dem Dachauer Außenlager Mühldorf auf eine fünftägige Irrfahrt durch Bayern schicken, um die Häftlinge in den Alpen vor den anrückenden, alliierten Truppen zu verbergen. Hauptprotagonist des Films ist Louis Sneh, ein Überlebender des Holocaust, der 1945 erst 17 Jahre alt war. Endstation Seeshaupt, den Walter Steffen als seinen wichtigsten Film ansieht, wird weltweit in Universitäten und Archiven (auch in Yad Vashem) gezeigt und als filmisches Dokument der Erinnerung und Versöhnung angesehen. In Gradaus Daneben (2011) portraitiert Steffen acht Menschen aus dem Oberland, die als Individualisten ein Leben außerhalb der Norm anstreben.

2013 kommen zwei Dokumentarfilme von Walter Steffen in die Kinos. Es ist zum einen der Film München in Indien, mit dem Walter Steffen den Spuren des einzigen deutschen Hofmalers der indischen Maharajas Hannes Fritz-München folgt und in einem großen historischen Bogen die außergewöhnliche Geschichte dieses deutschen Künstlers im vergangenen Jahrhundert erzählt. Zum anderen erscheint 2013 Trüffeljagd im Fünfseenland, in dem acht Geschichten aus Gerd Holzheimers gleichnamigem Buch filmisch umgesetzt werden. Bavaria Vista Club (2014) zeichnet ein Porträt der zeitgenössischen, oberbairischen Musikszene mit Zwirbeldirn, Zwoastoa, Wolfgang Ramadan, Wally Warning und anderen Musikern.

In Happy Welcome (2015), dem ersten Kinofilm zur Flüchtlingskrise 2015, begleitet Walter Steffen die „Clowns ohne Grenzen“ zu acht deutschen Erstaufnahmelagern. Die Bedeutung der Flößerei auf der Isar und ihrem Nebenfluss Loisach zeigt der Film Fahr ma obi am Wasser (2017), und in der Dokumentation Joy in Iran (2019) begleitet Steffen abermals die Künstler von „Clowns ohne Grenzen“ bei ihren Auftritten in iranischen Hilfseinrichtungen. Mythen und Sagen aus dem Alpenraum stehen im Mittelpunkt des Films Alpgeister (2019), der für das NaturVisionFilmFestival 2019 nominiert wird. Jüngstes Filmprojekt ist der Dokumentarfilm Auf Tour Z' Fuaß über die Konzert-Tour der beiden kongenialen Musiker Matthias Schriefl und Johannes Bär, die im Corona-Sommer 2020 zu Fuß wie die früheren Wandermusikanten von Andelsbuch nach Maria Rain durch die Vorarlberger, Tiroler und Allgäuer Alpen wandern.

Walter Steffen erhält diverse Auszeichnungen für seine Kurzfilme in Locarno, Bilbao und Trondheim, 2010 den Tassilo-Kulturpreis der Süddeutschen Zeitung für dokumentarische Filmarbeit und 2011 den Bürgerkulturpreis des Landkreises Weilhelm-Schongau. Endstation Seeshaupt wird 2011 ins Archiv von Yad Vashem in Jerusalem aufgenommen, Joy in Iran 2018 zum besten Kino-Dokumentar­film beim Internationalen Filmfestival Bahia (Brasilien) gekürt und Alpgeister 2019 mit dem Sonderpreis „Dolomiten UNESCO Welterbe“ beim Internationalen Bozen Filmfestival ausgezeichnet.

Walter Steffen ist verheiratet und Vater von drei Söhnen. Er lebt und arbeitet heute am Starnberger See.

Verfasst von: Digitaler Literaturatlas von Bayerisch Schwaben DigiLABS / Rosmarie Mair, M.A.


Externe Links:

Zur Homepage des Autors

Pressetexte (Auswahl)

Die Intensität des Lebens: Filmemacher Walter Steffen (Artikel bei Kulturvision e.V.)