Info
Geb.: 26. 6.1926 in Klagenfurt
Gest.: 17.10.1973 in Rom
Fotografie 1956 (BSB/Timpe)
Namensvarianten: Ruth Keller (Pseud.)

Ingeborg Bachmann

Geboren wird Ingeborg Bachmann am 25. Juni 1926 im österreichischen Klagenfurt. Dort verbringt sie auch ihre Jugend. Ihr Vater Matthias Bachmann (1895-1973) arbeitet dort seit 1923 als Lehrer lernt seine spätere Ehefrau Olga Haas (1901-1998) kennen. Das Paar heiratet 1925. 1928 kommt Ingeborgs Schwester Isolde zur Welt, 1939 der Bruder Heinz. Im Mai 1932 tritt der Vater der NSDAP bei. Den Besuch des Ursulinen-Gymnasiums in Klagenfurt schließt Ingeborg Bachmann 1944 mit der Matura ab. Im Herbst 1945 kehrt ihr Vater nach sechs Jahren Krieg aus amerikanischer Gefangenschaft zurück. Bachmanns erste Texte entstehen ab 1942. Sie sind inspiriert von Goethe, Schiller, Kleist. Außerdem verfasst sie das Trauerspiel Carmen Ruidera über die antinapoleonischen Befreiungskämpfe des frühen 19. Jahrhunderts. Ihre Erzählung Das Honditschkreuz handelt von einem sinnlosen Heldentod ebenfalls zu dieser historischen Zeit. Politische Bewusstheit und Entschlusskraft zu handeln sind noch nicht ausgereift, doch ihr Tagebuch des letzten Kriegsjahres belegt ihre Erkenntnis des Wahnsinns von Faschismus und Krieg.

1945 kommt es im von den Engländern verwalteten Kärnten zur kurzen Romanze Bachmanns mit dem britischen Soldaten Jack Hamesh, der sich 1938 als 18-jähriger Wiener Jude nach England retten konnte. Ab Herbst 1945 studiert sie in Wien Philosophie und promoviert 1950 über Martin Heidegger. Sie knüpft Kontakte innerhalb der Wiener Literaturszene um Hans Weigel und schwärmt für den achtzehn Jahre älteren Autor. Seinen Roman Unvollendete Sinfonie (1951)  die Liebesgeschichte eines Remigranten und eines Mädchens aus der Provinz  versteht er als Modell eines Brückenbaus zum Gestern und Schlüsselroman über ihn und Ingeborg Bachmann. Weigels Werk beantwortet Bachmann 20 Jahre später mit Malina. Darin betont sie gerade das Sichtbarmachen des Bruchs mit der Vergangenheit. Weigels Kreis beeinflusst literarisch auch Bachmanns Erzählband Das dreißigste Jahr (1961), dessen Text „Unter Mördern und Irren“ einen wohl von diesem Zirkel inspirierten Stammtisch aus Tätern und Opfern porträtiert. Ein zentrales Thema des Todesarten-Zyklus klingt bereits an, die strukturellen Auswirkungen des Patriarchats, die Frauen zu Opfern des Patriarchats und Juden zu Opfern des Holocausts machten. Auf einen weiteren wichtigen jüdischen Remigranten spielt die Figur Goldmann in Requiem für Fanny Goldmann (entst. 1966/67) an: Hermann Hakel, Herausgeber der Kulturzeitschrift Lynkeus. Im Eröffnungsheft der Zeitschrift 1948/49 sind erstmalig vier Gedichte Bachmanns publiziert.

1948 lernt Bachmann Paul Celan kennen. Ihrem Zusammenleben im Herbst 1950 in Paris folgen durch Bachmanns Aufbruch nach London nach nur zwei Monaten eine Fernbeziehung, ein jahrzehntelanger Dialog über Liebe, Kunstästhetik, Politik. In Bachmanns letzter Erzählung „Drei Wege zum See“ (1972) erinnert sich die Protagonistin Elisabeth Matrei ihrer 20 Jahre zurückliegenden Liebe zu Franz Josef Trotta. Jene Figur verbindet Aspekte Joseph Roths, Jean Amérys und Paul Celans. In London liest sie bei der Anglo-Austrian Society und kommt in Kontakt mit Hilde Spiel, Erich Fried und Elias Canetti.

Während der Niederschrift des nicht publizierten Romans Stadt ohne Namen arbeitet sie in Wien für die Zeitung Neues Österreich, ab September 1951 beim von den Amerikanern verwalteten Radiosender Rot-Weiß-Rot. Sie verfasst elf Sendungen der Serie Radiofamilie über eine Wiener Mittelstandsfamilie und ist Coautorin weiterer Sendungen. In den Räumen des Senders begegnet sie im April 1952 Hans Werner Richter, der beim Warten auf ein Interview mit Weigel vor ihm drapierte Gedichte Bachmanns liest. Noch am gleichen Tag lädt er sie zur Tagung der Gruppe 47 in Niendorf ein.

Dort treten 1952 u.a. Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann und Paul Celan auf. Dessen Lesung der Todesfuge erntet feindseliges Unverständnis. Er wird nie wieder an einer Tagung teilnehmen. Freundschaften mit Andersch, Böll, Henze, Hildesheimer, Johnson und Walser entstehen. Den Tagungserfolg sekundieren gute Kritiken und eine Lesung von Gedichten beim Nordwestdeutschen Rundfunk. Das Erfolgsjahr 1953 bringt Bachmann den Preis der Gruppe 47 für „Die gestundete Zeit“ und ihre erste Buchveröffentlichung des Gedichtbands. Entschlossen als freie Schriftstellerin zu leben, setzt sie sich in dem von Männern beherrschten Literaturbetrieb in Szene. Im August 1954 bringt Der Spiegel ein Porträt von Ingeborg Bachmann auf seinem Titel und veröffentlicht eine Reportage über die junge Autorin.

Im August 1953 zieht sie auf die Insel Ischia in die Nachbarschaft des Komponisten Henze. Das Hörspiel Die Zikaden und Libretti zu seinen Werken entstehen (Der Prinz von Homburg u.a.). Im Winter 1954 zieht sie mit ihm weiter nach Neapel. Beide erwägen für kurze Zeit eine Familiengründung, auch als gesellschaftlichen Schutz für den homosexuellen Henze im Italien der 1950er-Jahre. Die privaten Ereignisse finden Widerhall in der Erzählung „Drei Wege zum See“. Zwischen den Ischia- und Neapel-Aufenthalten arbeitet sie 1954 in Rom als Radio- und Zeitungskorrespondentin. Wichtige Kontakte knüpft sie zu Gustav René Hocke, Marie-Luise Kaschnitz, Hermann Kesten, Toni Kienlechner. Sie erhält eine Anstellung bei Radio Bremen und korrespondiert für die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Bis zum Herbst 1957 reichen journalistische Arbeiten und Radioessays für den Bayerischen, Hessischen und Norddeutschen Rundfunk gerade so zum Lebensunterhalt.

1955 lädt Henry Kissinger sie zu der von ihm geleiteten Summer School in Harvard ein. Ihr Hörspiel Der gute Gott von Manhattan entsteht, das sie 1958 fertigstellt, auf Amerika beziehen sich auch Gedichte in ihrem 1957 mit dem Bremer Literaturpreis ausgezeichneten Gedichtband Anrufung des Großen Bären (1956). Ihre Wechsel des Aufenthalts zwischen 1955 und 1957  nach den USA Klagenfurt, Paris, Wien, Italien  sind ökonomisch bedingt. Nach weiteren Stationen in Berlin, München und Paris weilt sie Anfang Januar 1957 erneut in Rom. Neben Finanzengpässen quälen sie Krankheiten. Ende Juli entscheidet sie, ab Spätherbst eine Stelle als Dramaturgin beim Bayerischen Fernsehen anzutreten.

Im Mai 1958 beendet sie  mit dem Honorar für das am 29. Mai gesendete Hörspiel Der gute Gott von Manhattan im Rücken  ihre Tätigkeit in München. Hauptmotiv des Stücks ist die Grenzüberschreitung in der Liebe. 1959 erhält sie den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Ihre Dankesrede trägt den Titel „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“.

Anschließend an die Sendung des Hörspiels übermittelt Max Frisch seine Begeisterung per Brief. Beide treffen sich im Juli 1958 in Paris. Diese amouröse Begegnung wird er in Montauk (1975) verarbeiten. Frisch wiederum besucht Bachmann in Neapel, wo sie im August 1958 mit Henze an der Oper Der Prinz von Homburg arbeitet. Bereits im November zieht Bachmann zu Max Frisch nach Zürich. Nach dessen Hepatitis im Frühling 1959, Bachmanns Rom-Aufenthalt und dem von Bachmann nicht erwiderten Heiratsantrag lebt das Paar in zwei Wohnungen in Zürich bis zum Rom-Umzug 1960. Bachmann erhält 1959/60 als erste die Dozentur für Poetik in Frankfurt am Main und wird 1959 Mitglied im PEN-Club. Im Juni 1961 erscheint ihr Erzählband Das dreißigste Jahr, eine zyklisch konzipierte, von der Auseinandersetzung mit Proust zeugende Erinnerungsreise.

Bachmanns Erfolgen stehen die unbewältigten Herausforderungen der Beziehung mit Frisch gegenüber, die zur Trennung und einem Nervenzusammenbruch Bachmanns mit anschließendem Klinikaufenthalt in Zürich zum Jahreswechsel 1962/63 führen. Infolge der letzten Begegnung der beiden im Frühjahr 1963 unterzieht sich Bachmann medizinischen sowie psychotherapeutischen Behandlungen, macht Entziehungs- und Aufbaukuren in St. Moritz und hat zwei Klinikaufenthalte in Berlin. Gleichzeitig beginnt ihre Alkohol- und Tablettensuchterkrankung. In den folgenden Monaten setzt ihre Arbeit am Projekt Todesarten ein, das verschiedene unsichtbare Todesarten durch soziale Gewalt in der Gesellschaft aufzeigen soll. Auch die Verarbeitung der Beziehung mit Frisch sowie der Auseinandersetzung mit seinem Werk findet Niederschlag. Von der allmählich distanzierteren Auseinandersetzung zeugt Malina (1971), der einzige von Bachmann veröffentlichte Todesarten-Roman. Das Autobiographische verblasst zugunsten paradigmatischer Situationen und Bezüge zu früheren Romanen Frischs.

1963 zieht die in Zürich Verbliebene mit einem Stipendium der Ford Foundation nach Berlin. Hier lebende Gruppe 47-Mitglieder stimulieren ihr politisches Engagement. Im Juli 1963 reichen Bachmann, Grass und Johnson Klage ein gegen den CDU-Generalsekretär Dufhues, der die Gruppe 47 als „Reichsschrifttumskammer“ bezeichnet hatte. Schon früher hatte sich Bachmann politisch eingemischt: 1958 trat sie dem „Komitee gegen die Atomrüstung“ bei, 1961 unterstützte sie Celan in der Goll-Affäre. Sie positionierte sich gegen den Algerien- und Vietnamkrieg sowie gegen die Verjährung von NS-Verbrechen.

Nach einer Tagung in Paris 1963 und einem Arbeitsaufenthalt bei Henze in Castel Gandolfo reist sie Anfang 1964, angeregt durch Adolf Opel, zwei Mal nach Prag sowie im Mai 1964 nach Ägypten. Die Prag-Reisen schlagen sich in Gedichten wie „Böhmen liegt am Meer“ nieder, das die poetische Wiedergewinnung ihrer scheinbar verlorengegangenen Sprachheimat reflektiert. Auf ihren Ägypten-Erlebnissen basiert „Der Fall Franza“. Die Erzählung stellt der destruktiven mitteleuropäischen Zivilisation die Wüste als Ort der Heilung gegenüber.

Anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1964 schreibt sie die Rede „Deutsche Zufälle“, in der sie die beengende Atmosphäre des vom Kalten Krieg gezeichneten Berlin festhält, aber auch den Eskapismus der Gesellschaft mittels Konsum und Alkohol beschreibt. Ein Schlag ist für sie im Herbst 1964 die Publikation von Frischs Roman Mein Name sei Gantenbein. In dessen Figur Lila fühlt sie sich selbst gezeichnet. Auch ihre Gesundheit verschlechtert sich. Nach mehreren Reisen 1964 kehrt sie erschöpft nach Berlin zurück. Im Februar 1965 folgt ein Sanatoriumsaufenthalt in Baden-Baden. Anfang April reißt sie die Uraufführung von Henzes und ihrer gemeinsamen Oper Der junge Lord aus Niedergeschlagenheit und steigender Tablettensucht. Materielle Probleme gehören nun der Vergangenheit an, die Zusammenarbeit mit Henze endet jedoch. Dieser wendet sich aktuellen Themen zu, während Bachmann übergeordnete politische Strukturen und das Schreiben als politischen Akt anvisiert. Wendepunkt ist der gemeinsame Auftritt Bachmanns und Henzes bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung am 4. September 1965 in Bayreuth.

Ende 1965 zieht sie endgültig nach Rom und bringt das zentrale Roman-Projekt der Todesarten voran. Es kommt zum Bruch mit dem Piper Verlag, nachdem jener sich als Übersetzer der Gedichte von Anna Achmatowa gegen den von Bachmann vorgeschlagenen Paul Celan und für den als NS-Liedschreiber bekannten Hans Baumann entschieden hatte. Bachmann verlässt Piper bis zur Beilegung des Streits 1970. Lesungen aus dem fortschreitenden Todesarten-Projekt folgen in verschiedenen Städten, wo sie „Der Fall Franza“ vorstellt mit seiner im Zentrum stehenden Aufdeckung von oberflächlich kaum sichtbaren Verbrechen. Ab 1967 entstehen in demselben Motivkreis angesiedelte Erzählungen, veröffentlicht 1972 unter dem Titel Simultan.

Im April 1970 begeht Paul Celan Selbstmord. Im März 1973 stirbt Bachmanns Vater. Während einer Lesereise 1973 besucht sie die ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau.

Für Ende September ist ein Erholungsaufenthalt in Bad Gastein geplant. Die Schwere ihrer Suchterkrankung war Freunden aufgrund leerer Tablettenschachteln und Brandwunden am Körper, verursacht von glimmenden Zigaretten, nicht entgangen. Die Ereignisse der Nacht vom 25. auf den 26. September 1973 kommen der geplanten Reise zuvor. Ingeborg Bachmann wird am Morgen des 26. Septembers in Rom mit Verbrennungen in eine Klinik eingeliefert, nachdem ihr Nachthemd durch eine Zigarette in Brand geraten war. Nach zunächst gutem Bewusstseinszustand fällt sie ins Koma. Sie stirbt an den infolge ihrer Suchterkrankung erlittenen Verbrennungen am 17. Oktober 1973 in einem römischen Krankenhaus. Ihr Leichnam wird nach Klagenfurt überführt und am 25. Oktober 1973 dort bestattet.

Verfasst von: Anette Spieldiener

Sekundärliteratur:

Hartwig, Ina (2017): Wer war Ingeborg Bachmann? Eine Biographie in Bruchstücken. 2. Aufl. Frankfurt am Main.

Hoell, Joachim (2001): Ingeborg Bachmann (dtv portrait, hg. von Martin Sulzer-Reichel). München.


Externe Links:

Literatur von Ingeborg Bachmann im BVB

Literatur über Ingeborg Bachmann im BVB

Ingeborg Bachmann in der Deutschen Biographie

Ingeborg Bachmann im Austria-Forum

Ingeborg Bachmann in der Wikipedia

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